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Gemeinschaft und Ordnung gegenüber der Individualität des
Oberhauptes’”.
In der verfassungsmäßigen Organisation jedes Bundesstaates
werden die entgegengesetzten, in ihm verbundenen Prinzipien der
Individualität der Einzelstaaten und der nationalen Einheit mit
einander ringen und sich ausprägen in verfassungsmäßigen Or-
ganen. Darin zeigt sich gerade der größere Reichtum des Bun-
desstaates gegenüber dem Staatenbunde, der folgerichtig nur ein
einziges Organ in einem Gesandtenkongresse besitzen kann. Auch
der Zollverein von 1867 beweist nichts dagegen, da er einen der
Uebergänge zur bundesstaatlichen Einheit bildete. So stehen in
den Vereinigten Staaten und der Schweiz Senat und Ständerat
auf der einen, Präsident und Repräsentantenhaus, bezw. Bundes-
rat und Nationalrat auf der anderen Seite.
In Deutschland ist der Bundesrat, dessen Mitglieder sogar
heute noch mit völkerrechtlichen Vorrechten ausgestattet sind,
zweifellos der Vertreter der Individualität der Einzelstaaten. Die
ursprünglichen Bismarckschen Reformpläne, die in der norddeut-
schen Bundesverfassung noch klarer erkennbar sind als in der
Reichsverfassung, wollten auch nichts anderes, als neben diesem
Bundesrat eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volks-
vertretung als Vertreterin der nationalen Einheit stellen. Da-
neben sollte es nur hegemonische Vorrechte des größten deut-
schen Einzelstaates, Preußens und seines Königs, im Bunde,
innerhalb des Bundesrates als Präsidium, außerhalb als Bundes-
feldherrn und Oberkommandanten der Marine, geben. Schon die
norddeutsche Bundesverfassung hat, indem sie das Organ des
Präsidiums, den Bundeskanzler, aus einem preußischen Präsidial-
gesandten, wie Bismarck wollte, zum verantwortlichen Bundes-
minister emporhob, das Präsidium zum dritten Bundesorgane ge-
’ Vgl. SMEND, Zur Geschichte der Formel „Kaiser und Reich“ in den
letzten Jahrhunderten des alten Reiches aus der Festgabe „Historische Auf-
sätze* für KARL ZEUMER, Weimar 1910.