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die Abstellung von Mängeln zu beschließen, die sich bei der
Ausführung der Reichsgesetze durch die einzelstaatlichen Be-
hörden herausstellen. Im letzten Hintergrunde schwebt dabei
die vom Bundesrate zu beschließende Bundesexekution, wenn etwa
ein Einzelstaat und seine Behörden den Beschlüssen des Bundes-
rates nicht nachkommen sollte.
Soweit dagegen die Anwendung der Reichsgesetze durch die
Gerichte erfolgt, würde die kaiserliche Ueberwachung und die
Beschlußfassung des Bundesrates eine Art von Kabinetsjustiz,
ein Eingreifen nicht richterlicher Verfassungsorgane in den ge-
ordneten Gang der Rechtspflege darstellen. Hier kann das Reich
sein Recht der Beaufsichtigung, namentlich im Sinne einer ein-
heitlichen Rechtsanwendung, nur zur Geltung bringen, indem es
die oberste Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch nimmt. Eine
besondere verfassungsmäßige Grundlage für diese eigene oberste
Gerichtsbarkeit gibt es außer dem allgemeinen Rechte der Beauf-
sichtigung nicht. Aber von dem Augenblicke an, in dem 1869
der norddeutsche Bund Handelsgesetzbuch und Wechselordnung
zu Bundesgesetzen erklärte und gleichzeitig das Bundesoberhan-
delsgericht begründete, bis zum Erlasse der Militärstrafgerichts-
ordnung von 1898 mit dem Reichsmilitärgerichte und der Be-
schränkung oberster Landesgerichtsbarkeit auf das Landesprivat-
recht seit 1900 sind stets die Gesetzgebung des Reiches auf den
durch die Gerichte anzuwendenden Rechtsgebiete und die oberste
Gerichtsbarkeit des Reiches ziemlich parallel gegangen.
Indem das Reich sein Recht zur Gesetzgebung in immer
weiterem Umfange wirklich betätigt und damit gleichzeitig ent-
weder Beaufsichtigung im allgemeinen oder oberste Gerichtsbar-
keit beansprucht, werden die Einzelstaaten auf immer weiteren
Gebieten in der Tat zu bloßen Selbstverwaltungskörpern. Immer
weiter schrumpft damit das Gebiet ureigner, unkontrollierbarer
Staatsgewalt zusammen, auf dem sie noch als Staaten betrachtet
werden können.