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welche ausdrücklich in der Akte selbst bezeichnet sind. Aus-
nahmen vom gemeinen Recht sind nicht anzunehmen“ (FUSINATO).
Das Grundprinzip ist gerade mit Rücksicht auf die Rivalität der
europäischen Mächte proklamiert worden, um die Rechtslage,
insbesondere alle Ueberwachungs-, Bevormundungs- und Ein-
mischungsrechte, möglichst klar und außer Streit zu stellen.
Das kann nicht scharf genug betont werden. Anderenfalls würde
der Zweck der Akte vereitelt, „die Reibungsfläche zwischen den
verschiedenen Mächten durch Aufrechterhaltung der scherifischen
Souveränität möglichst zu vermindern“5®. Die marokkanische
Staatsgewalt ist unabhängig nach außen hin und im Innern selb-
ständig. Marokko ist souverän. Rechtlich kann es nur durch
eigene Entschließung gebunden werden. Das haben alle Mächte
in Algeciras feierlich anerkannt. Als unabhängiges Land kann
sich Marokko aus eigener Machtvollkommenheit die Gesetze ge-
ben, die es will. Es verwirklicht seine Staatszwecke in freier,
ungebundener Weise. In mehrfachen Verträgen hat jedoch
Marokko zu Gunsten anderer Nationen und ihrer Angehörigen
sich an bestimmte Normen gebunden. Dies ist in starkem Maße
namentlich durch die Algecirasakte geschehen. Sie läßt aber
keinerlei Zweifel darüber: die Vermutung spricht stets für die
Freiheit und rechtliche Ungebundenheit des Sultans. Innerhalb
der weiten, ihm verbleibenden freien Sphäre schaltet er nach
souvreränem Gutdünken. Ein „Geist der Algecirasakte“, der
etwas anderes ist als der dreifache Grundsatz der Eingangsformel,
sollte bei wissenschaftlicher Behandlung des Vertrages nicht
zitiert werden.
Der Sultan ist auch innerhalb der — im übrigen — freien
Sphäre durch die Algecirasakte gebunden: Alle Vertragsmächte und
ihre Angehörigen hat er zu behandeln nach dem Prinzip der wirt-
schaftlichen Freiheit ohne jede Ungleichheit”. Durch die Algeciras-
58 LAMMASCH, Blaubuch 8. 78.
5° y. JAGEMANN (S. 8 seines Gutachtens) macht darauf aufmerksam,
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