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Sultan Mulay Hafıd den gesandtschaftlichen Beschluß vom 20.
August 1908 tatsächlich unbeachtet gelassen hat”.
Die deutsche Denkschrift?! spricht den unanfechtbaren Satz
aus, daß eine Auslegung der Algecirasakte Sache der Vertrag-
schließenden selbst sei. Und „Die Grenzboten“ ® sagen ganz
richtig: „Sämtliche Mächte waren der Meinung, die sonst überall
in der Welt bisher gegolten hat, daß dieselben Parteien, die
einen Vertrag schließen, ihn auch deklarieren und abändern
können, wenn sie nur alle darin einig sind“. Nun ist der Be-
schluß vom 20. August 1908 seinem Inhalte nach mit der Al-
gecirasakte unvereinbar. Zweifellos kann durch Vereinbarung
unter allen Vertragsmächten eine Abänderung herbeigeführt wer-
den. Um rechtswirksam zu sein, ist sie an die gleichen Voraus-
setzungen gebunden, wie der Abschluß des zu ändernden Ver-
trages selbst®®, Dazu gehört in erster Linie die ausdrückliche
und offenkundige Einigung zwischen allen Kontrahenten. Auch
Marokko gehört zu den Kontrahenten der Algecirasakte, die kein
geheimer Vertrag ist”. Es hat an jener angeblichen „Aus-
legung“ keinen Anteil. Die Algecirasakte konnte ohne seine
Mitwirkung und Zustimmung nicht abgeändert werden. Solange
sich die übrigen Mächte überhaupt an die Algecirasakte gebun-
den erachten, sind sie für eine Abänderung derselben an die
Zustimmung des Sultans, die nur durch eine offizielle Regierungs-
handlung erteilt werden kann, gebunden. Ein Unterlassen, ein
Stillschweigen, ein Nichtstun ist keine „Regierungshandlung“, die
dem Decret imperial portant ratification de l’acte general de la
Conference Internationale d’Algeciras ® vom 18. Juni 1906 ent-
% Siehe HATSCHEK, Blaubuch S. 82. »ı Weißbuch 8. 10.
92 69. Jahrg. Nr. 4, S. 191. Siehe dazu ZORN in Nr. 8 Seite 380.
»3 Sehr gut HATSCHEK, Blaubuch, S. 82 ff.
?* Siehe HATSCHEK in der National-Zeitung 1910, Nr. 60.
5 Diplomatische Aktenstücke und Dokumente über die internationale
Konferenz von Algeciras. 1905—1906. Herausgegeben vom K. und K. Mini-
sterium des Aeußern. Wien 1906. 8. 449.