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Bentham und die Geschlossenheit des Rechtssystems.
Ein Schlußwort
von
JULIUS HATSCHEK.
Die interessante Abhandlung von LukAS „Benthams Einfluß auf die
Geschlossenheit der Kodifikation“ in dieser Zeitschrift 1910, Bd. XXVI,
S,49f., die auch als Abwehr meiner Ausführungen (in dieser Zeitschrift 1909,
Bd. XXIV, S. 442f.) angesehen werden will, veranlaßt mich zu folgenden
Bemerkungen.
1. LUKAS sagt ganz richtig, S. 55: „„Benthams Prinzip der „Geschlossen-
heit des Gesetzbuchs“ ıst ohne die „richterliche Gebundenheit an das Ge-
setz“ nicht denkbar.““ Ich kann diesem Satz vollständig zustimmen, aber
gilt auch die Umkehrung ? Ich glaube nicht. Die richterliche Gebunden-
heit an das Gesetz ist auch denkbar ohne Geschlossenheit des Gesetzbuchs.
Wenn nun LUKAS in einer früberen Arbeit „Zur Lehre vom Willen des Ge-
setzgebers 1908“ gegen mich polemisierte, indem er den Nachweis unter-
nahm, daß Bentham bei der richterlichen Gebundenheit an das Gesetz, wie
sie der Code Napoleon im Artikel 4 ausspricht, nicht Pate gestanden hat,
so war die Polemik, weil sie den Nachweis unterließ, daß Benthams Ge-
schlossenheit des Gesetzbuchs für den Code Napoleon nicht maßgebend
gewesen sei, eine nicht gerade glückliche zu nennen. Nun hat Lukas das
damals Versäumte nachgeholt. Seine umfassende Abhandlung versucht den
Nachweis, der früher unterblieben ist; ob mit Erfolg wird noch weiter
unten zu erörtern sein. Sie ist aber m. E. der beste Beweis, daß das von
ihm früher gebotene nicht genügen konnte.
2. Im Eifer der Diskussion ist LUKAS, bona fide, eine Verschiebung des
Beweisthemas unterlaufen. Er glaubt nämlich (S. 57), daß ich aus den in
Frage kommenden zwei Stellen Benthams, Works ed. BowERINgG IV 514
und Archives parlamentaires II. Serie IV 579 f., einen Beweis dafür konstru-
iere, daß das Napoleonische Kodifikationswerk speziell von der Theorie der
Benthamschen Geschlossenheit, Lückenlosigkeit, wesentlich beeinflußt sei.