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der refere legislatif schlechthin? — beseitigt worden ist: Die
praktische Veranlassung boten justizpolitische Erwägungen, die
theoretische Formel aber, mittelst der man zu diesem praktischen
Ziele zu gelangen vermochte, wurde von der naturrecht-
lichen Doktrin geliefert; man wies nämlich den Richter
X1.—1. X. 1790, art. 21/2, eingeführt: „Mais lorsque le jugement aura ete
casse deux fois, et qu’un troisi&eme tribunal aura juge en dernier ressort,
de la m&me maniere que les deux premiers, la question ne pourra plus
etre agitee au tribunal de cassation, qu’elle n’ait ete soumise au corps
legislatif. ..*“ In meiner Schrift S. 417 f. hatte ich, im Anschluss an Geny,
Methode d’interpretation 75, die Vermutung ausgesprochen, dass zurzeit der
Aufhebung des refere facultatif (1803, durch Art. 4 Code Napoleon) der re-
fer obligatoire nicht mehr in Geltung gewesen sei, und war auf Grund
dessen S. 418 zu dem Satze gelangt, daß durch diese Aufhebung des re-
fere facultatif „der refere legislatif völlig aus der Welt geschafft
worden sei“, womit ich selbstverständlich nicht sagen wollte „für immer
aus der Welt geschafft“, sondern nur „im gegebenen Zeitpunkte“ (ich fügte
ja S. 4183 ausdrücklich hinzu, „daß der refere obligatoire im Jahre 1807
für 3 Dezennien reaktiviert wurde). Die Ausführungen von BARTHELEMY
in der Revue du droit public 1908, 471 f. lassen dies nun allerdings als
zweifelhaft erscheinen; es ist nicht ausgeschlossen, daß der refere obliga-
toire mit gewissen, an dem Grundgedanken des Instituts nichts ändernden
Modifikationen von 1790—1837 ununterbrochen zu Recht bestanden hat.
Diese Berichtigung vermag aber die in meiner Schrift unternommene Be-
weisführung nicht zu alterieren. Das, worauf es in meiner Schrift ankam,
war vielmehr (soweit Frankreich in Betracht kam) der Nachweis, daß die
legislatorische Tat des Art. 4 Code Napoleon, die nach meiner damaligen,
nunmehr korrigierten Meinung mit der Aufhebung des fakultativen refere
legislatif zugleich die Herstellung eines völlig referelosen Zustandes be-
wirkte, von der Idee ausgegangen sei, der Richter könne bei Zweifeln und
Lücken des Gesetzes das Naturrecht zu Rate ziehen. Damit war näm-
lich dann zugleich bewiesen, daß der refere legislatif in jener Zeit mit
der Lehre vom Willen des Gesetzgebers nicht mehr in Zusammenhang ge-
bracht wurde — ein deutlicher Fingerzeig für den absolutistischen
Grundcharakter dieser Lehre. Das war auch der Grund, weshalb ich (S. 418°)
der 1807 erfolgten gesetzlichen Regelung des refere obligatoire für
meine Untersuchungen keine weitere Bedeutung zuerkennen konnte.
5 Weil dort die Unterscheidung von refere facultatif und refere obli-
gatoire nicht existierte, sondern aller refer&e legislatif ein fakultativer im
Sinne der französischen Terminologie war.