— 116 -—
blickt JAGEMANN '2) auch einen Schutz für die Eınzel-
staaten: dann und wann sei die Neigung vorhanden, dab
populäre, aber ungedeckte Ausgaben im Reich beschlossen werden,
den Gliedstaaten aber, deren parlamentarische Vertretung hiebei
nicht mitreden konnte, die Aufbringung der Deckung durch
Matrikularbeiträge aufgebürdet werde; diese Neigung werde aber
durch dieungerechte Wirkung des Matrikularsystemszurückgehalten.
Die „budgetmäßigen Beträge“ der Matrikularbeiträge, wie
es in Art. 70 d. RV. heißt, werden in Wahrheit nur a conto
geleistet, während die wirklichen Beträge sich erst nach dem
effektiven Abschluß des betr. Etatsjahres ergeben. Jede Er-
höhung der Matrikularbeiträge muß aber gemäß Art. 70 ebenfalls
„budgetmäßig“, d.h. in der Form eines Reichsgesetzes erfolgen:
entweder wird ein Nachtragsetat-Gesetz erlassen oder
aber es wird das Defizit des Jahres als Ausgabe in den Etat
des folgenden Jahres eingesetzt und dann auf diese Weise die
Summe der von den Einzelstaaten zu zahlenden Matrikularbei-
träge erhöht. Andererseits kann ein Ueberschuß von eingezahl-
ten Matrikularbeiträgen (die Leistung erfolgt pränumerando)
durch Anrechnung auf die Einnahmen des nächstfolgenden Jahres
ausgeglichen werden. Freilich ist bei der definitiven Feststellung
der Matrikularbeiträge zu berücksichtigen, daß weder alle Reichs-
einnahmen noch alle Reichsausgaben sämtlichen Bundesgliedern
gemeinsam sind (Biersteuerreservate von Bayern, Württemberg,
Baden, Postreservat in Bayern und Württemberg).
Da die Matrikularbeiträge im „Voranschlag“, also im Ent-
wurf des Etatsgesetzes, in bestimmter Höhe festgesetzt werden
und der Reichskanzler sie nur in Höhe des budgetmäßigen Be-
trages ausschreiben kann, so hat der Reichstag formell das
Recht, die Matrikularbeiträge zu „bewilligen“. Da die Matri-
kularbeiträge im Etat als Einnahmen aufgeführt werden, hat
12 Dr. EUGEN V. JAGEMANN, „Zur Reichsfinanzreform‘“, S. 22. Heidel-
berg, Karl Winters Universitätsbuchhandlung. 1905.