Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 27 (27)

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Literatur. 
Besprechungen. 
Dr. Gottfried Kunwald, Ueber den eigentlichen Grundge- 
danken des proportionalen Wahlsystems, Wien 1906. 
Der logische Fehler der Proportionalisten, sagt Kunwald, die selbst 
daran schuld seien, daß ihr System wahres Verständnis in weiten Kreisen 
nicht gefunden habe, liege darin, daß sie vom Standpunkt der parlamen- 
tarischen Parteien ausgehen. Nur ein sehr geringer Teil der Wähler ge- 
höre zur Partei, die zur Zeit der Wahlen erst werbend an die Wähler heran- 
trete. Die rechtliche, politische und psychologische Bedeutung des Wahl- 
aktes konzentriere sich ausschließlich in der Uebertragung des persönlichen 
politischen Vertrauens des Wählers zu dem gewählten Kandidaten, wobei 
die Parteiangehörigkeit nur einen untergeordneten Faktor der Mitbestimmung 
bilde. Ein weiterer Irrtum des Proportionalisten bestehe darin, daß sie 
das Proportionalsystem dem Mehrheitssystem gegenüberstellen. Das Grund- 
prinzip des Mehrheitssystems liege darin, daß die Wählerschaft eines und 
desselben Wahlbezirks als politische Einheit, als organisches Ganzes auf- 
gefaßt werde. Sie als solche, nicht die einzelnen Wähler seien zur Er- 
nennung der Abgeordneten berufen. Den Gegensatz zu diesen Bezirken 
bilden die freien Gruppen sämtlicher Wähler eines Landes, sodaß nicht 
Mehrheits- und Proportionalsystem, sondern fixe Gruppierung und freie 
Gruppierung den Gegensatz bilden. Das wahre und bisher verdunkelte 
Prinzip des proportionalen Wahlsystems sei also die einstimmige Wahl der 
Abgeordneten durch die zu diesem Zwecke frei gruppierten Wähler. 
So bestechend auch die Argumentation KuNnwALDs auf den ersten 
Blick sein mag, einer näheren Untersuchung hält sie nicht Stand. Vor 
allem ist es eine immer und immer wieder gehörte Behauptung, daß das 
Proportionalsystem von der großen Menge nicht verstanden werde. Die 
Praxis hat das gerade Gegenteil bewiesen. Nach der Statistik der bayerischen 
Gemeindewahlen z. B. hat sich der Wahlakt im allgemeinen ohne erheb- 
liche Schwierigkeiten einfach und glatt abgespielt, was sich aus den wenigen
	        
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