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Fall den Kaiser von der Opportunität seines Rücktritts zu über-
zeugen, alles dieses sind Fragen die entschieden sein müssen,
wenn wir einer Beantwortung unserer Fragen näher treten wollen.
Diesen Ausführungen entspricht es auch, daß bei der An-
nahme des Reichssteuergesetzes 1909 in einem vom Reichskanzler
nicht vertretenen Sinne der neue Reichskanzler gegenzeichnete,
obwohl er erst zum Reichskanzler ernannt wurde, als das Steuer-
gesetz angenommen war. Er konnte es, ohne damit den mate-
riellen Inhalt der Gesetze zu decken, da die Möglichkeit der
Uebernahme der Verantwortlichkeit für das formelle rechtmäßige
Zustandekommen der Gesetze gegeben war. Ebenso hätte auch
der Reichskanzler Fürst Bülow, obwohl seine persönliche An-
sicht nicht mit der durch die Reichstags- und Bundesratsmehr-
heit zum Gesetz erhobenen Ansicht übereinstimmt, die Steuer-
gesetze gegenzeichnen können, ohne dadurch einen Satz unseres
deutschen Staatsrechts zu verletzen. Daß es nicht geschah, ist
von ÖOptimisten als ein Zeichen der Entwicklung unseres Staats-
lebens zum Parlamentarismus angesehen werden. Wir finden
den Grund in der persönlichen Rücksichtnahme des Kaisers,
ohne darin eine Prinzipienänderung unseres Staatsrechts zu er-
blicken. Wenn wir aber nach dem Prinzip unseres Staatsrechts
die Kontrasignatur nur auf die Form beziehen, ist damit unsere
Stellungnahme in der Kontroverse entschieden.
IV. Eine andere Frage ist die:
1. Ob eine solche Trennung der Gesetzgebung ohne vor-
geschriebene Kompetenz notwendig war;
2. welchem Weg das Merkmal des primären anhaftet;
3. ob sie politisch war und ist.
Die drei Fragen gehen ineinander über und ergänzen sich
in ihrer Beantwortung. — Eine Untersuchung der Motive, die
zu der gesetzlichen Regelung geführt hat, wie wir sie heute
haben, ergibt, dass wir in der Möglichkeit der Reichsgesetz-
gebung in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten ein Sicher-