_ 14 —
SCHÜTZ, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts; PREUSS, Gemeine, Staat,
Reich als Gebietskörperschaften.
I. Wenn Bismarck bei der Beratung des Gesetzentwurfs zum
Vereinigungsgesetz !° sagte, man sei sich nicht einig über die ju-
ristische Natur des Reichslandes, man wolle diese sowie ihre ju-
ristische Feststellung der Zukunft überlassen !”, so ist dies ein
eklatantes Zeichen dafür, wie wenig sich die Praxis des Staats-
rechts um die von der Wissenschaft geprägten oder gefundenen
Begriffe kümmert, und wie verkehrt es ist, geschaffene Zustände
in hergebrachte Formen zwängen zu wollen. Anderseits erklärt
diese Tatsache auch die Fülle von Kontroversen, die bei jedem
Gebilde anomalen d. h. nicht mit den herkömmlichen Begriffen
zu messenden Charakters entstehen. Denn bei der Betrachtung
staatsrechtlicher Erscheinungsformen fehlt so oft der objektive
Standpunkt und vor allem ist man zu leicht geneigt, solche Ge-
bilde mit politischem Blick zu betrachten; und damit wird der
zu fordernde Gesichtspunkt rein objektiver Erkenntnis zu dem
subjektiv gefärbten kritisch-politischer Zweckmäßigkeit. Von einer
nachträglichen Feststellung der juristischen Natur im Sinne ju-
ristischer Konstruktion kann keine Rede sein; denn mit der Ein-
richtung ist auch ihre rechtliche Struktur festgelegt. Es kann
sich nur um die Erkenntnis dieser, vielleicht durch ihren ano-
malen Charakter im gegebenen Zeitpunkt verdunkelten Struktur
handeln. Aber diese Erkenntnis gegebener Tatsachen, diese
Analyse staatsrechtlich bedeutsamer Vorgänge und Tatsachen ist
wesentlich verschieden von der Tätigkeit des Privatrechtlers, der
auch gegebene Tatsachen und Vorgänge vor sich hat, und diese
subsumiert, nachdem er vorher die rechtliche Diagnose gestellt
hat. Denn diese privatrechtlich-relevanten Tatbestände sind,
wenn man so sagen darf, farblos, jede den Tatbestand bildende
Tatsache ist ihres individuellen Charakters zu entkleiden, und
16 Ges. v. 9. Juni 1871 Ges.-Bl. für E.-L. S. 1.
11 Bismarck in der Reichstagsverhandlung zum Vereinigungsgesetzentwurf.