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die Hausbewohner in Gefahr. Nach $& 1 Abs. 2 RVG. kann
dies kein Grund für ein Verbot der Versammlung sein. Es ist
ein Notstand gegeben und damit die Möglichkeit zur Ausübung
des polizeilichen Notrechts in zweierlei Richtung: 1. Die Ver-
sammlung wird verboten. Das wäre juristisch bedenklich, denn
das Notrecht gründet sich, wie wir annehmen, immer nur auf
8 10. II. 17 ALR. Dieser aber ist durch $1 Abs. 2 RVG.
ausgeschaltet, soweit es sich nicht um die Sicherheit der Ver-
sammlungsteilnehmer handelt. 2. Den Hausbewohnern wird wäh-
rend der Dauer der Versammlung der Aufenthalt in ihrer Woh-
nung untersagt. Das ist juristisch korrekt, da es infolge der
rechtlichen Unzulässigkeit des Auswegs zu 1. die einzige Mög-
lichkeit zur Abwendung der Gefahr ist !%. Die wichtigsten An-
wendungsfälle des polizeilichen Notrechis der in Frage stehen-
den Art sind die von OÖ. MAYER als „rettende Taten“ bezeich-
neten, bei denen durch Anwendung sofortigen Zwanges nicht
der Störende, sondern der durch die Störung Gefährdete in seiner
Freiheit beschränkt wird. Soweit dabei eine vollständige Auf-
hebung der Freiheit stattfindet, ist das Notrecht der Polizei ın
Preußen gesetzlich festgelegt, indem das Gesetz zum Schutze der
persönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 2° (8& 6) die Polizei
ermächtigt, „Personen in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen,
wenn der eigene Schutz oder die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sittlichkeit, Sicherheit und Ruhe diese Maßregeln
dringend erfordern“. Diese Befugnis müßte jedoch nach dem
bisher Gesagten auch ohne die besondere Ermächtigung aus der
ı? Die Praxis wird in diesem Falle wohl zu gerecht sein, um juristisch
korrekt zu handeln; sie wird annehmen, daß auch die Versammlungsteil-
nehmer gefährdet sind, und darauf ihr Recht zum Verbot der Versammlung
gemäß 8 1 Abs. 2 RVG. stützen. Vgl. das Urteil des OVG. vom 2. Januar
1908 (SOERGEL, Jahrbuch d. Verw.-Rechts I, 550), für das jetzige Recht
meine Ausführungen im Verw.-Arch. XVIII S. 416, sowie tür das vorher-
gehende Beispiel daselbst S. 267 f.
2 G.-S. S. 45.