— 2351 —
Würde nun aber deutscherseits die Auslieferung für das Reichs-
land selbst nachgesucht, so könnte nach amerikanischem Recht
wiederum nur eine Ablehnung erfolgen. Denn, während im
Deutschen Reiche — wie auch das erwähnte Memorandum des
Auswärtigen Amts hervorhebt — die zentralen Verwaltungs-
stellen, denen die Bewilligung von Auslieferungen zusteht, auch
ohne Vertrag und außerhalb des Rahmens einer abgeschlossenen
Konvention Auslieferungen gewähren dürfen, steht das ameri-
kanische Recht auf dem Standpunkt, daß jede Auslieferung das
Bestehen einer vertragsmäßigen Auslieferungspflicht zur notwen-
digen Voraussetzung habe. Es sind zwar in der Praxis der
Vereinigten Staaten Fälle nachzuweisen, in denen Auslieferungen
ohne Vertrag gewährt worden sind’, und man hat daraus die
Folgerung ziehen wollen, daß sie zu einer ständigen Uebung ent-
wickelt werden würden. Aber die Vermutung hat sich nicht be-
stätigt. Das amerikanische Recht betrachtet vielmehr die Ent-
scheidung jener Fälle als durch die spätere Praxis verworfen.
Wie es in dem Falle Stupp das belgische Auslieferungsgesuch
mangels eines Vertrages ablehnend beschied, so hat es sich in
den heute als maßgebend anerkannten Präjudizien dahin fest-
gelegt, „that there is no authority to surrender a fugitive unless
the crime with which the fugitive is charged is specifically in-
cluded among the extraditable crimes specified by treaty“ 1°,
Für die Auslegung der drei deutschen Verträge ist diese
Rechtsanschauung der Vereinigten Staaten von unmittelbarem
Wert. Sie ergibt nicht nur, daß wir auf eine Auslieferung nur
zu rechnen haben, wenn die Pflicht dazu aus dem maßgebenden
® Vergl. folgende Fälle : 1819 Daniel Washburn (CLARKE p. 41, 92;
v. Marrıtz II, S. 569), 1827 Joseph Fischer (CLARKE p. 92). 1864 Arguelles
(Moore I, p. 83; CLARKE p. 72; v. Marrıtz II, S. 570 Anm. 13). Zu dem
Fall Orrıza von 1890 siehe v. Marrızz II S. 570 Anm. 13.
10 J. REUBEN CLARK JR. in Procedings (siehe unten Anm. 17) p. 9.
Siehe auch die von diesen angeführten Entscheidungen, Moore I, p. 21 und
v. Marrıtz II, S. 570, Anm. 14.