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bei der Beurteilung der anarchistischen Verbrechen
verlassen. Die Abwehr des Anarchismus ist in den Vereinigten
Staaten ein vielerörterter Gegenstand. Wie von jedem Reisen-
den, der amerikanischen Boden betritt, Auskunft darüber ver-
langt wird, ob er Anarchist ist, so bildet die Vereinbarung ge-
meinsamer Maßnahmen zum Schutze gegen den Anarchismus
einen Programmpunkt für die vierte panamerikanische Konfe-
renz. Der amerikanischen Beurteilung anarchistischer Verbrechen
bietet das Erkenntnis des Supreme Court der Vereinigten Staaten
im Fall Turner einen Anhaltspunkt. In dessen Begründung
wird auf die Notwendigkeit einer Selbstverteidigung der Staaten
gegen anarchistische Unternehmungen hingewiesen. Das hat dann
Anlaß gegeben, zu folgern, daß es ungerechtfertigt und unsinnig
sei, anarchistischen Verbrechern Asyl zu gewähren®’., Man er-
klärt sie uneingeschränkt für auslieferungsfähig*. Augenschein-
lich hat diese Denkweise mit ihren Folgerungen in Amerika
große Verbreitung gefunden, denn z. B. auch die Auslieferungs-
vereinbarung der fünf zentralamerikanischen Republiken vom
20. Dezember 1907 erklärt anarchistische Unternehmungen ohne
Ausnahme für auslieferungspflichtige Verbrechen*”., Was man
sich unter anarchistischen Straftaten zu denken hat, wird nır-
gends angegeben. Liegt darin bereits ein Mangel, so ist es
auch nicht verständlich, weshalb die grundsätzliche Fragestellung,
ob ein Verbrechen politisch oder gemein ist, hier vermieden und
mittelbar ohne weiteres erklärt wird, anarchistische Delikte seien
stets gemein und asylunwürdig. Daß auch die Taten von Anar-
chisten politisch sein können, läßt sich nicht bestreiten, sobald
zugegeben wird, daß sich das anarchistische Verbrechen vom
nichtanarchistischen nur durch subjektive Momente unterscheidet.
47 Ebendort p. 132. 48 Ebendort p. 131, 138.
* Siehe dazu METTGENBERG, Die Auslieferungsvereinbarung der mit-
telamerikanischen Republiken vom 20. Dezember 1907 in der Zeitschrift für
die gesamte Strafrechtswissenschaft Bd. 28 (1907/8) S. 854 f.
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