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Denn diese war doch eigentlich nichts anderes, als die staats-
rechtliche Sanktion eines tatsächlich bereits bestehenden Herr-
schaftsverhältnisses, als ein formeller Akt, welcher als eine un-
abweisliche Folgerung aus dem Berliner Vertrage von 1878 und
aus der diesen vollziehenden Okkupation des Landes von allen
sachlich Urteilenden für die Zukunft vorausgesehen werden mußte.
Es ist von gewiß nicht geringem wissenschaftlichen Interesse,
die neue bosnisch-herzegowinische Verfassung ihrem rechtlichen
Gehalte nach als Ganzes und in den einzelnen Bestandteilen
kritisch zu untersuchen und sich über ihren bedeutungsvollen
Zusammenhang mit dem österreichisch-ungarischen Staatsrechte,
über ihre Eingliederung in das Gesamtgefüge des letzteren klar
zu werden. Ich habe diese Aufgabe in eingehender Weise durch
eine Abhandlung zu lösen unternommen, welche für das im kom-
menden Frühjahre erscheinende Jahrbuch des öffentlichen Rechts
bestimmt ist. In den nachstehenden Ausführungen aber möchte
ich in gedrängter Kürze nur eine Sonderfrage behandeln, welche
vielleicht geeignet erscheint, die bedeutungsvollen Probleme dieses
Verfassungswerkes erkennen zu lassen, ohne sie selbst zu lösen;
es ist die Frage nach dem rechtlichen Charakter der mit 17. Fe-
bruar 1910 für Bosnien-Herzegowina erlassenen Grundgesetze;
die Frage, inwieferne sie tatsächlich den Namen einer bosnisch-
herzegowinischen Verfassung verdienen oder ob sie trotz des
äußeren Anscheines als etwas anderes aufzufassen sind. Hier-
durch hoffe ich zugleich eine Vorarbeit für die angekündigte
systematische Darstellung des neuen Verfassungswerkes zu leisten.
Mit Rücksicht auf den gegebenen Raum muß ich bezüglich der
ausführlicheren Begründung der hier ausgesprochenen Ansichten
auf meine Abhandlung im Jahrbuch verweisen.
Es erscheint durchaus nicht als müßige Frage, ob die mit
kaiserlicher Entschließung vom 17. Februar 1910 für die Orga-
nisation staatlicher Herrschaft und für die allgemeine Rechts-
stellung der Untertanen im Annexionslande erlassenen grund-