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und eine gewisse Vermögensgebahrung, aber keine behördliche
Befugnis zu. Auch die Bezirksräte stehen unter Aufsicht und
Befehl der Regierung. Eine selbständige Landesverwaltung, wie
wir sie in den österreichischen Kronländern finden, fehlt im
Neulande vollständig, Wohl ist das Land Vermögenssubjekt
und eigener Vermögens- und Anstaltsverwaltung fähig, aber es
ist nicht Träger Öffentlicher Verwaltung; der Landtag als solcher
hat keine Verwaltungskompetenz, ein Landesausschuß ist nicht
organisiert; einen „Landeshauptmann“ als Exekutivorgan für eine
autonome Landesverwaltung gibt es nicht; es gibt nur einen
„Landtagspräsidenten“. Alle obrigkeitliche Verwaltung im Lande
ist kaiserliche und königliche Verwaltung.
Es fehlen also der bosnischen Verfassung jene Garantie-
einrichtungen, ohne welche wir uns den modernen Konstitutio-
nalismus nicht vorstellen können. Diese Feststellung soll durch-
aus keinen Vorwurf, keine politische Kritik des Gesetzeswerkes
vom Februar 1910 enthalten. Alle die angeführten Beschrän-
kungen, die Vorherrschaft des monarchischen Prinzips, finden
ihre Erklärung und Rechtfertigung in der Unmöglichkeit, in einem
Lande mit so heterogener Bevölkerung, das durch strafies mili-
tärisches Regiment von dem Zustande der Anarchie erst befreit
und durch mühsame 30jährige Verwaltungsarbeit für eine erfolg-
reiche Kulturentwicklung erst reif gemacht werden mußte, mit
einem Schlage von der Militärherrschaft zu vollem Konstitutio-
nalismus überzugehen; sie finden ihre Erklärung in der Not-
wendigkeit, im Grenzlande gegen die Balkanstaaten mit ihren
unausgesetzt drohenden Wirren und politischen Verwickelungen
eine starke zentralistische Herrschaft aufrecht zu erhalten. Die
wissenschaftliche Untersuchung des rechtlichen Charakters des
bosnischen Verfassungswerkes muß aber das Fehlen der Merk-
male einer konstitutionellen Regierung objektiv feststellen.