Bevor wir zu einem abschließenden Urteile über das Wesen
des gegenständlichen Gesetzeswerkes schreiten, ist noch die Frage
zu erörtern, ob man nicht wenigstens eine sachlich beschränkte oder
teilweise Konstitution des Landes annehmen kann. Dafür würde
trotz der festgestellten Abhängigkeit des Landes von Oesterreich-
Ungarn und der Vorherrschaft des monarchischen Prinzips, wie wir
gleich sehen werden, eine Reihe gewichtiger Argumente sprechen.
Vielleicht ließesich ein solches Abhängigkeitsverhältnis des Lan-
des und seiner Gesetzgebung von Oesterreich-Ungarn feststellen,
welches einen Rest eigener, selbständiger staatlicher Funktionen
für Bosnien-Herzegowina übrig ließe, so dab mit Bezug auf die
grundsätzliche rechtliche Ordnung dieses teilweisen Selbstbestim-
mungsrechtes von einer konstitutionellen Verfassung in beschränk-
tem Sinne gesprochen werden könnte. Die Untersuchung dieser
Frage fällt mit der Untersuchung der staatlichen Qualität Bos-
nien-Herzegowinas zusammen.
Die bosnischen Februargesetze sind in wesentlichen Bezieh-
ungen österreichischen Verfassungsnormen nachgebildet; so in
augenfälliger Weise die Regelung der allgemeinen bürgerlichen
Rechte und der Landesangehörigkeit dem bezüglichen österrei-
chischen Staatsgrundgesetze !'? und die Organisation der bosni-
schen Landesvertretung und Landesgesetzgebung den österreichi-
schen Ikandesordnungen. Man spricht in Oesterreich nicht bloß
von einer Staatsverfassung, sondern auch von Landesverfassungen
und bezeichnet mit letzteren die den einzelnen Kronländern im
Zusammenhange mit der Aufrichtung des konstitutionellen Sy-
stems für den Staat verliehenen Landesordnungen, durch welche
2 Die hierhergehörenden Bestimmungen sind zum Teile wörtlich oder
fast wörtlich dem österreichischen Staatsgrundgesetze vom 21. Dezember
1867 R.G.B]. Nr. 142 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger ent-
nommen.