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Teile kraft Wahlrechtes, zum kleineren Teile kraft Amtsrechtes
aus den sozialen Schichten der Bevölkerung des Neulandes heraus
periodisch gebildete Volksvertretung, welche berufen ist, durch ihre
frei gefaßten Beschlüsse Gesetzesinhalt zu schaffen und dadurch
als wesentlicher Faktor bei der vom Monarchen ausgehenden
Gesetzgebung mitzuwirken. Ihre Mitglieder sind an keine In-
struktionen der Wähler oder der Regierung gebunden und ge-
nießen das Vorrecht der Immunität. Auch ein gewisses Kontroll-
recht über die Funktionen der Exekutivgewalt ist dem Land-
tage eingeräumt und seine Tätigkeit vollzieht sich nach
einer Geschäftsordnung, welche ihrem Wesen nach den Ge-
schäftsordnungen der Parlamente konstitutioneller Staaten ent-
spricht. — Allein man darf nicht übersehen, daß durch diese
Feststellung nicht auch zugleich gesagt ist, daß der bosnische
Landtag ein Parlament, ein Organ der bosnisch-herze-
gowinischen Gebietskörperschaft ist; daß die von
ihm beschlossenen Gesetze nach ihrer Sanktion durch den Mo-
narchen sich als Landeswille, als Gesetze des Annexionslan-
des selbst darstellen; daß das letztere ein Selbstgesetzgebungs-
recht besitzt. Für die Entscheidung dieser Frage müssen fol-
gende Argumente in Betracht gezogen werden: Zunächst fällt
der Umstand ins Gewicht, daß das Subjekt der bosnischen Lan-
desgesetzgebung Seine Majestät der „Kaiser von Oesterreich und
Apostolische König von Ungarn“ und nicht der Landesherr von
Bosnien-Herzegowina ist. Durch seinen Reichsfinanzminister ver-
anlaßt der Kaiser die Vornahme der Landtagswahlen, durch ihn ver-
anlaßt er die Eröffnung, Vertagung und Schließung des Landtages,
durch den Reichsfinanzminister kann er auch die Auflösung dieses
Parlaments verfügen. Die Regierungsvorlagen werden wieder
durch den Reichsfinanzminister eingebracht und dieser vermittelt
auch die Sanktion und Publikation der Landesgesetze, nachdem
sowohl zur Einbringung der Regierungsvorlagen, als auch zur
Vorlage der Landtagsbeschlüsse zur Sanktion die österreichische