— 316 —
wirkt, juristisch nicht als Ausdruck des Landeswillens bezeichnet
werden kann. Die Funktionen der bosnisch-herzegowinischen
Landesvertretung erscheinen lediglich als eine Mitwirkung
bei der gesetzgebenden Tätigkeit Oesterreich-Ungarns für die
Herrschaft im Neulande. Der bosnische Landtag muß daher als
ein neues „gemeinsames“ Organ der Monarchie von be-
sonderer Art bezeichnet werden, als eine Reichseinrichtung,
nicht als eine Emrichtung des Landes. Die weittragende
Bedeutung dieses Schlusses liegt darin, daß wir es hier mit einem
neuen gemeinsamen Reichsorgane zu tun haben, welches in seiner
Organisation und in seinem Wirken das Prinzip des Dualismus
nicht mehr erkennen läßt, ja es sogar negiert. Hier ist es nicht
mehr möglich, weder formell noch materiell, von einem öster-
reichisch-ungarischen Doppelwillen zu sprechen, wie es die Theo-
rie nicht nur bezüglich der Willensakte der Delegationen, sondern
auch hinsichtlich jener des Monarchen und der Reichsminister tut °°.
Diese Eigenart des bosnischen Parlaments tritt besonders beim Ver-
gleiche mit den Delegationen zutage. Beides sind Formen des Re-
präsentativsprinzips, beide sollen im Zusammenwirken von Volks-
vertretung und Monarchen obersten staatlichen Willen im Inter-
esse der Gesamtmonarchie bilden. Während aber bei den Dele-
gationen sowohl in ihrer Organisation, in der Berufung ihrer
Mitglieder, als auch in ihren Funktionen, ihrer beschränkten
Kompetenz und in der Durchführung ihrer Beschlüsse der
Grundsatz mit möglichstem Nachdrucke hervorgehoben erscheint,
daß es immer zwei nebeneinander für verschiedene Staatsge-
biete, wenn auch für gemeinsame Interessen der beiden Staats-
wesen wirkende Staatswillen sind, die da in Erscheinung treten,
ist im bosnischen Landtage in einer keinem Zweifel und keiner
dualistischen Konstruktion Raum gebenden Weise die innere und
äußere Einheit des für die Monarchie im Annexionsgebiete zu
2 Vgl, dazu HAUKE, Grundriß S. 159.