Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 27 (27)

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verfassungen ändernde territoriale Kompetenzerweiterung des 
österreichischen Reichsrates und des ungarischen Reichstages 
über die Grenzen der beiden Staaten hinaus liegt. 
Nach der bisherigen Betrachtung kann es wohl kaum be- 
stritten werden, daß die bosnischen Februargesetze von 1910 
wesentlich in den bisherigen Rechtsbestand der österreichischen 
und ungarischen Verfassung eingegriffen haben, obwohl in keinem 
der beiden Staaten der Monarchie eine verfassungsändernde Ge- 
setzgebung ins Werk getreten ist. Diese Tatsache ist aber zu- 
gleich ein gewichtiger Hinweis darauf, daß es sich bei dem Er- 
lasse dieser Gesetze nicht um die Herstellung der selbständigen 
Verfassung eines fremden, außerhalb Oesterreichs und Ungarns 
liegenden Landes handeln konnte, welche die beiden alten Staaten 
nicht berührt, sondern daß es sich vielmehr um ein Gesetz- 
gebungswerk handeln muß, welches in untrennbarem Zusammen- 
hang mit der österreichischen und ungarischen Verfassung, mit 
dem staatlichen Bau der Gesamtmonarchie steht. Reichsrecht, 
nicht Landesrecht ist es, das da geschaffen wurde; ein Recht, 
welches den Prozeß einer bedeutsamen Weiterentwicklung des 
österreichisch-ungarischen Staatengebildes zum Ausdrucke bringt, 
nicht aber eine selbständige staatliche Ordnung des Jandes 
Bosnien-Herzegowina schaft. 
Es mag vielleicht mit Recht gesagt werden, daß die Schöpfer 
der bosnischen Februargesetze ein solches weitgestecktes Ziel 
durchaus nicht vor Augen hatten, sondern der Not der politi- 
schen Situation gehorchend in schwierigen Verhandlungen auf 
dem Wege von Kompromissen eine rechtliche Ordnung der Herr- 
schaft im annektierten Lande herbeizuführen suchten, welche der 
Frage des künftigen staatsrechtlichen Schicksals des Neulandes 
nicht präjudizierte und vorläufig eine ungeteilte und völlig gleich- 
berechtigte Herrschaft Oesterreichs und Ungarns dortselbst ein-
	        
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