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zur Vernichtung der angefochtenen Handlung. Verfasser nennt drei Arten
dieser Ermessensüberschreitungen: 1. den Ermessensmißbrauch, wenn die
Behörde absichtlich gegen das öffentliche Interesse handelt; 2. die Diskre-
tionsverletzung, wenn die Behörde mit einer äußerlich einwandfreien Hand-
lung einen Zweck verfolgt, den sie nicht verfolgen darf, selbst wenn die
Erreichung des Zwecks im öffentlichen Interesse liegt; 3. die Ermessens-
verirrung, wenn die Behörde mit ihrer Handlung einen erlaubten Zweck
anstrebt, in Wirklichkeit aber gegen ihre Absicht einen vom Gesetz ver-
botenen Erfolg herbeiführt.
Die Arbeit, die in der Gedankenführung selbständiger ist als die Schrift
des gleichen Verfassers „Das Recht zum Gewerbebetrieb“ und insofern
einen Fortschritt bedeutet, liest sich sehr angenehm und imponiert durch
die Fülle der Zitate. Um so mehr schuldet es der Kritiker der Wissen-
schaft, auf einige der Bedenken aufmerksam zu machen, die gegen die
Schrift im ganzen und in den einzelnen Teilen zu erheben sind.
Mit Recht bemerkt Verfasser, daß das freie Ermessen gleichbedeutend
sei mit der Freiheit in der Wahl zwischen mehreren Arten des Verhaltens;
denn da hier nicht die Freiheit der physischen Handlung von physischen
Hemmnissen in Frage steht, kann mit dem freien Ermessen in der Tat nur
die Freiheit des Entschlusses gemeint sein. Zu Unrecht schränkt aber Ver-
fasser seine Definition ein auf die Wahrung des öffentlichen Interesses und
die Wahl der nächstliegenden Zwecke. Für seine Behauptung führt Ver-
fasser auch gar keinen Grund an, wie sie denn auch unbeweisbar ist. „Der
Vormundschaftsrichter‘“, heißt es S. 58, „darf bei seinem sogenannten Er-
messen nur das Interesse des Mündels im Auge haben.“ Gewiß! aber Ver-
fasser wird doch nicht behaupten wollen, das Interesse des Mündels sei
auch nur theoretisch durch Gesetzesauslegung eindeutig bestimmbar; der
Privatmann, der bei der eigenen Berufswahl sich zu demjenigen Schritte
entschließt, der ihm nach reiflicher Ueberlegung am besten erscheint,
handelt sicher nicht in Anwendung des bürgerlichen Gesetzes; darum ist
es auch nicht Gesetzesanwendung, sondern freie Entschließung, wenn das
Vormundschaftsgericht etwa nach $ 1629 BGB. bei einer Meinungsver-
schiedenheit zwischen Vater und Pfleger dasjenige bestimmt, was bei der
Berufswahl dem Interesse des Kindes am meisten entspricht. Der Gesetzes-
befehl allerdings, im Interesse des Kindes zu handeln, besteht für den
Vormundschaftsrichter; den Inhalt dieses Befehls aber schöpft er aus
eigener Brust. — Etwas naiv heißt es $S. 57f.: „Bei der Strafzumessung ist
lediglich der vom Gesetz mit der Strafe angestrebte Zweck ... zu ver-
folgen“. Als ob sich das Gesetz über den Strafzweck äußerte! In Deutsch-
land wenigstens wird kein Revisionsgericht ein Strafurteil deshalb aufheben.
weil sich das untere Gericht bei der Strafzumessung auf eine bestimmte
Strafrechtstheorie stützt; vgl. Entscheidung des Reichsgerichts, I. Straf-Senats.
vom 23. III. 1908 DJZ. 08 S. 763 f. — Ebensowenig handelt der Richter bei Hand-