Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 27 (27)

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m. A. derjenigen zu Regierungsstellen im weitesten Sinne, also für alle 
Vertretungswahlen zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit bekennt, ist am 
kürzesten und treffendsten in dem Worte „Selbst die Mehrheit hat 
kein Recht gegen die Gerechtigkeit“ (Frankfurter Zeitung 
1910 Nr. 287 Sp. 1) ausgedrückt. Die Mehrheit, für deren Entscheidungs- 
macht innerhalb eines Vertretungskörpers kein tieferer Grund der Recht- 
fertigung als ihre Unentbehrlichkeit zu finden ist, vertritt hier den Ge- 
samtwillen kraft einer konventionellen Fiktion und versieht diese Macht 
nur, weil es ein Besseres nicht gibt (vgl. meine Ausführungen im Jahrbuch 
d. ö. R. Bd. 3 8. 476 ff... Die Mehrheit muß auch bei Wahlen entschei- 
den, von dieser Notwendigkeit dispensiert auch das Verhältniswahlsystem 
nicht. Auch der „Quotient“, der hier erreicht sein muß, ist eine Mehrheit 
und auch innerhalb der Listen entscheidet unter den Kandidaten, die aus 
ihr als gewählt hervorgehen sollen, eine Mehrheit. Es wäre deshalb rich- 
tiger das VW.System nicht schlechthin in Gegensatz zum Mehrheitsprin- 
zip zu stellen. Die Verhältniswahl tritt in Gegensatz nur zu dem Abso- 
lutismus des Mehrheitsprinzips. Sie schwächt dasselbe nach dem Grund- 
satze ab, daß keiner Partei oder Gruppe mehr Vertreter zukommen als 
ihrer verhältnismäßigen Stärke im Vergleiche zu anderen vorhandenen 
Gruppen entspricht. Dieser Satz ist es denn auch, den CaHn als den der 
Gerechtigkeit im Wäahlrechte allein und überall entsprechenden nachweist 
und gegenüber allen denkbaren und wirklich erhobenen Einwänden ver- 
ficht. 
Gut ist CAHn im konstruktiven Teil vor allem der Nachweis ge- 
lungen, daß das Verhältniswahlsystem aus dem Mehrheitsprinzip selbst ab- 
zuleiten sei, so daß es ihm dann nicht schwer fällt, seine Vereinbarkeit 
mit den Prinzipien der Demokratie und der Monarchie darzutun. 
In dem Hauptabschnitt über die politische Bedeutung der VW. sehen 
wir CAHn mit großer Gründlichkeit bemüht, jedem gegnerischen Einwand 
aufs äußerste gerecht zu werden. Er will durchaus überzeugen, keines- 
wegs nur überreden. So verbirgt er nicht, daß Mehrheitsparteien durch 
die Einführung der VW. an Stärke verlieren können, ja daß in gewissem Maß 
unter Umständen die Parteienzahl eine Vermehrung erfahren kann. Aber 
er zeigt auch, daß jene Verluste sich nur auf das erstrecken können, was 
den einbüßenden Parteien nicht zukommt und daß durch die VW. neue 
Parteien nur dann zum Vorschein kommen, wenn sie schon vorher vor- 
handen, aber durch den Mehrheitsabsolutismus unterdrückt waren. Und 
wenn etwa auch radikale Gruppen durch die VW. zu einer bisher 
entbehrten Vertretung gelangen, so ist dieser Radikalismus nicht zu 
fürchten, denn er mildert sich durch seine Vertretung und verdrängt den 
schlimmeren Radikalismus, der im Absolutismus des Mehrheitsprinzips 
waltet. Daß die VW. dem sog. Zweiparteiensystem nicht günstig sei, 
leugnet C. nicht, er stellt aber mit Recht fest, daß dasselbe schon unter
	        
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