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festgesetzt werden. Die Vorschrift der RV. Art. 6 Abs. 2 ent-
hält keine derartige Beschränkung. Denn da die Substitutions-
vollmacht nur solange andauert, als der Fall der Verhinderung
des Hauptbevollmächtigten andauert, so sind im Grunde genom-
men niemals mehr Bevollmächtigte vorhanden, als Stimmen dem
Glliedstaate zustehen ®. Vorschriften der Geschäftsordnung für
den Bundesrat, durch welche bestimmt wird, daß die Regierungen
hinsichtlich des Inhaltes oder der Zeitdauer einer zu erteilenden
Substitutionsvollmacht beschränkt sein sollen, haben keine bindende
Kraft, da die Vorschriften der Geschäftsordnung sich nur an
die Mitglieder des Bundesrats, niemals aber an die vertretenen
Staaten wenden *°. Die Geschäftsordnung für den Bundesrat hat
s A. Ans, ist PERELS a. a. O. Seine ganzen Deduktionen stehen und
fallen mit der Beantwortung dieser Frage. Richtig ist, daß die Bestimmung
des $ 1 der Geschäftsordnung für den Bundesrat die Befugnis zur Ernennung
stellvertretender Bundesratsbevollmächtigter nicht gewähren kann. Die hier
vertretene Ansicht braucht sich auch gar nicht auf die genannte Vorschrift
der Geschäftsordnung zu berufen, sie steht vielmehr mit der Verfassung
vollkommen im Einklang. Inwiefern sie für den Fall, daß eine und dieselbe
Person Hauptbevollmächtigter für den einen Staat und stellvertretender
Bevollmächtigter für den andern Staat oder auch nur stellvertretender Be-
vollmächtigter für mehrere Staaten ist, hinsichtlich des Gerichtsstandes
sowie hinsichtlich der Zuständigkeit zur Genehmigung einer von der Regel
abweichenden Vernehmung als Zeuge oder Sachverständiger zu unsinnigen
Konsequenzen führen soll (PERELS S. 278), ist nicht einzusehen.
* Die Vorschriften der Geschäftsordnung sind nicht Reichsgesetz; sie
sind auch nicht Normen eines Vertrages zwischen den Regierungen oder
Gliedstaaten. Wären sie, was unten zu erörtern ist, autonomische Satzung
des Bundesrats, so hätten sie nur für das Verhältnis der Bundesratsbevoll-
mächtigten untereinander Bedeutung, nicht aber könnten dadurch den ver-
tretenen Staaten Beschränkungen auferlegt werden.
5 v. JAGEMANN, Die deutsche Reichsverfassung, Heidelb. 1904, S. 86,
weist darauf hin, daß ein in den Ausschüssen vertretener Staat im
Falle seiner Verhinderung, an den Geschäften der Ausschüsse teilzunehmen,
keine Substitution vornehmen dürfe; als Stellvertreter trete ein anderer zum
voraus bestimmter Staat ein. Dieser Satz ist in der Allgemeinheit nicht
richtig. Vielmehr steht dem Bundesrate ein Recht, für das verhinderte Aus-
schußmitglied einen Substituten zu bestellen, nur insoweit zu, als er über-