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Haben wir im Bisherigen nur die Fälle im Auge gehabt, in
denen noch keine Entscheidung der Verwaltungsbehörde vorliegt,
und haben wir erkannt, daß hier der Richter nach freiem Er-
messen eine Vorentscheidung gutachtlicher Natur einholen oder
aber selbst die Vorfrage entscheiden kann, so führt die von uns
vertretene Ansicht notwendig zu demselben Ergebnis, wenn ein
Ausspruch der Behörde bereits ergangen ist. Hier wie dort soll
die richterliche Unabhängigkeit gewahrt bleiben, es soll dem
Richter, der geschworen hat, „alle ihm vermöge seines Amtes
obliegenden Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen genau
zu erfüllen“, der Pflichtenkonflikt erspart bleiben, der unvermeid-
lich dann eintreten muß, wenn er andrer Meinung als die Be-
hörde ist, deren Entscheidung er zugrunde legen soll. Die Rich-
tigkeit dieser Auffassung hat im Gesetze selbst ihren Ausdruck
gefunden. Denn wenn in dem schon allegierten $ 14 EGzZPO.
dem strafrichterlichen Urteil die bindende Kraft für den Zivil-
richter genommen wird, so führt, da das Gesetz doch hier in
erster Linie rechtskräftige Urteile im Auge haben muß, analoge
Betrachtung bei verwaltungsrechtlichen Urteilen zu demselben
Ergebnis. Man wende gegen das gewonnene Resultat nicht ein,
daß ja auch in Frankreich die Entscheidung der „questions pre-
judicielles“*“ durch die Administrative für den Richter bindend
sei. Denn dort findet — mag auch theoretisch die deutsche
Auffassung als die richtigere und der Stellung des Richters jeden-
falls eher gerecht werdende erscheinen — der Richter den er-
forderlichen Rückhalt und die Lösung des Konflikts in dem Ge-
setz, das ihm ausdrücklich befiehlt, die fremde Auffassung zu
seiner eigenen zu machen.
Damit sind wir zu einem weiteren Punkt unserer Erörterung
gelangt. Auch in den deutschen Staaten wird der Grundsatz
von der richterlichen Unabhängigkeit zuweilen aus Zweckmäßig-
keitsgründen von der französischen Auffassung durchkreuzt, eine
Ausnahme, die sich aber nie von selbst versteht, sondern stets