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Absendestaat beauftragt, im Verhältnis zum Reich bevoll-
mächtigt. Zwar ist die Worttechnik der Reichsverfassung
nicht immer klar. So z.B. werden in Art. 11 RV. die Begriffe „Zu-
stimmung“ und „Genehmigung“ in einer den zivil-rechtlichen Be-
griffen nicht entsprechenden Weise gebraucht. Es ist aber herr-
schende Ansicht, daß die „Bevollmächtigung“ gemäß Art. 6 II
RV.nicht abweichend von der zivilrechtlichen Begriffisbestimmung
zu interpretieren ist. Ist dies aber richtig, so setzt die Tatsache,
daß „der Statthalter die Bevollmächtigten zum Bundes-
rat ernennt und instruiert*3! voraus, daß wir auch hier zwei
Faktoren unterscheiden, die durch die Bevollmächtigung verbun-
den werden. Negativ formuliert heißt das: es ist unmöglich,
daß jemand einen Bevollmächtigten für eine Tätigkeit mit sich
selbst ernennt. Positiv: wenn also ein Bevollmächtigter
ernannt ist, so muß derjenige, mit dem der Bevollmächtigte in
Beziehung treten soll, ein anderer sein, als derjenige, der den
Bevollmächtigten ernennt.
Auf E.-L. angewandt heißt das, daß das bevollmächtigte
E.-L. ein von dem Reich verschiedener Faktor sein muß, weil
andernfalls eine Bevollmächtigung eines vernünftigen Sinnes ent-
behren würde. Den praktischen Bedürfnissen hätte auch
fürderhin der bisherige Zustand genügend Rechnung getragen,
wonach Kommissare in den Bundesrat abgeordnet wurden, welche
an den Beratungen über Angelegenheiten, die die Interessen-
sphäre E.-L’s. tangierten mit konsultativem Votum teilnahmen ®%.,
Es ergibt sich somit aus Art. 2 $ 2 Abs. 3 des neuen Gesetzes
mit Art. 6 Abs. 2 der RV. durch Argumentum e contrario, daß
E.-L. ein staatsrechtliches Gebilde ist das nicht mehr als Reichs-
land, als Reichsprovinz anzuschlagen ist.
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1 Art. IIS 2 Abs. 3 des Gesetzes.
2 8 7 des Ges. vom 4. Juli 1879 betr. die Verfassung und Verwal-
tung E.-L.s.