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einer Reihe der wichtigsten Fragen des Kriegs- und des Neutralitäts-
rechts.
Otfried Nippold.
Revue generale de droit international public, XVI,
1910. 684 Seiten.
Ueber die Bedeutung der Revue generale und die mannigfachen An-
regungen und Förderungen, die der Leser durch jeden neuen Band dieses
vortreffllichen Werkes empfängt, zu sprechen, wäre ein mübßiges Unter-
fangen. Bedauern muß ich nur, daß der Zweck dieser Besprechung eine
eingehendere, vollständigere Würdigung verbietet. Es sollen daher im fol-
genden nur die Abhandlungen hervorgehoben werden, die für die Theorie
des Völkerrechts oder für seine Entwicklungsgeschichte besondere Beach-
tung beanspruchen.
Unter die erstere Gruppe fällt zunächst Pıcs Aufsatz „De l’interpre-
tation des traites internationaux“ (S. 1-35). Nach ihm ist eine Interpre-
tation eines völkerrechtlichen Vertrags auf drei verschiedene Weisen mög-
lich: zweiseitig, d. h. durch authentische Auslegung seitens der Signatäre
oder aber einseitig durch einen der Staaten, sei es durch die Regierung,
sei es durch die Gerichte. Seine — nebenbei bemerkt von DESPAGNET in
seiner neuesten Auflage (curavit Boeck) 1910, S. 699—703 übernommenen
— Auffassungen fordern, soweit sie von der einseitigen Auslegung handeln,
bei allem Scharfsinn, der von jeher die Pıcschen Aufsätze auszeichnet, in
verschiedener Richtung entschiedenen Widerspruch heraus. Dies gilt ganz
besonders von den Stellen (cf. S. 9, 10), an denen eine Verquickung von
Landesrecht (im Teriepeischen Sinn) und Völkerrecht ganz offensichtlich
ist. Näher hierauf einzugehen, darf ich mir umso eher versagen, als ich
demnächst Gelegenheit finden werde, mich mit diesen Fragen in einer Mo-
nographie eingehend auseinanderzusetzen. — In seiner Abhandlung „Le
statut politique de l’Egypte au regard de la Turquie“ (S. 36—55) unter-
sucht LAMBA die Frage, ob Egypten als abhängiger Staat oder autonome
Provinz der Türkei angesehen werden muß. [Den widerspruchsvollen Aus-
druck — cf. JELLINEK, Allg. Staatslehre, 2. Aufl., 1905, S. 482 — „halb-
souverän“, der leider noch in allen Lehrbüchern anzutreffen ist, möchte
ich mit LAMBA vermeiden; freilich ist auch der von ihm gewählte eines
Vasallenstaates unrichtig (cf. von LıszT, Völkerrecht, 6. Aufl. 1910, S. 55)].
ı Die Sätze über Immunität der Gesandten sind in den Staaten, in
denen sie nicht wie z. B. im deutschen GVG. 8 18 ff. ausdrücklich zum
Landesrecht erhoben sind, als Landes-, aber nicht Völkergewohnheitsrecht
für den Richter verbindlich. — Cf. vor allem JELLINEK, System der sub-
jektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 326.