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sie umfasse also namentlich auch die zum Gewohnheitsrechte erstarkte Ge-
pflogenheit, gewisse Allerhöchste Erlasse (so namentlich die in militärischen
Personalangelegenheiten ergehenden Kabinetsordres) unkontrasigniert zu pro-
mulgieren, sowie die damit in Zusammenhang stehende faktisch nahezu
exempte Stellung des Militärkabinets, welches eben gerade aus diesem Grunde
doch noch immer als besondere Abteilung auf dem Etat des Kriegsmini-
steriums geführt wird, Weder also auf die verfassungsmäßige Kontrasig-
naturbedürftigkeit sämtlicher Anordnungen des Monarchen sowie die staats-
rechtlichen Folgen entgegengesetzter Handlungsweise, noch auf den Zu-
ständigkeitsbereich des Kriegsministeriums, noch auf die Verantwortlichkeit
des Ressortministers habe die berührte gewohnheitsrechtliche Uebung Ein-
fluß gewinnen können; einzig und allein die Verbindlichkeit militärischer
Befehle für die Personen des Soldatenstandes bleibe von der Verfassungs-
widrigkeit unkontrasignierter Ordres unberührt — eine Anomalie, für welche
nun in der Tat die in der Kommandogewalt liegende potenzierte Gehor-
samspflicht die Erklärung liefere.
Dies in großen Zügen der logische Gedankengang desvorliegenden Werkes.
Die geistvolle Hypothese selber wird in der zu erwartenden lebhaften Diskussion
ihre Haltbarkeitdartun müssen. Einen naheliegenden Einwand hätte der Verf.
vielleicht besser ausdrücklich in den Wind schlagen sollen, weil er nun un-
weigerlich erhoben werden wird: Wie kann — so möchte mit einem Schein von
Recht gefragt werden — die bloße Tatsache, daß gewissen Personen gegenüber
auch verfassungswidrig erlassene Befehle verbindlich sind, eine Erklärung da-
für liefern, daß es nun auch mit so ängstlichem Fleiße vermieden wird, diesen
Personen jene Befehle dennoch in verfassungsmäßiger Form zu erteilen ? Diese
der Verfassung bewußt und konstant zuwiderlaufende Praxis kann doch un-
möglich ihren zureichenden Grund in der rein negativen Tatsache ihrer
Unschädlichkeit finden. So meint es nun der Verf. auch wirklich nicht. Die
von ihm aufgeführte Konstruktion kann selbstverständlich jene Praxis höch-
stens entschuldigen. Ihre Rechtfertigung steht auf ganz anderem Blatt.
Sie wurzelt in der psychologischen Wirkung, welche die Isolierung des Kd-
niglichen Namenszuges auf die Truppe ausübt. In diesem Sinne ließ Fried-
rich Wilhelm IV. an sein Staatsministerium die Warnung ergehen, ja nicht
„Grundsätze aufzustellen, welche in dem Heer das Bewußtsein schwächen
könnten, daß der König sein alleiniger Chef ist“. Daher die Sorge, es
könnte dem Allerhöchsten Kriegsherrn das „konstitutionelle Bekleidungs-
stück“ gerade umgekehrt eine Blöße geben. Und so sehen wir das selt-
same Schauspiel, daß ein Minister im Interesse seines Ressorts es sich an-
gelegen sein läßt, an der Unterbindung seines eigenen Wirkungskreises mit-
zuarbeiten, den Bereich seiner eigenen Kompetenz zu restringieren. Diese
allmähliche Emanzipierung des Militärkabinets vom Kriegsministerium vor-
nehmlich in Preußen, welche in dem Buche zu einer glänzenden Darstel-
lung gelangt, bietet uns direkt ein Stück Kulturgeschichte und gewährt