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Anerkennung nicht weigern dürfen, daß die gröbste Kompetenz-
Anmaßung und der unerhörteste Einbruch in fremde Zuständig-
keit allseitig ruhig hinzunehmen seien, sofern sie nur in Gestalt
des Richterspruches stattgefunden hätten.“
BINDING, a. a. O. S. 244.
Das Institut der Rechtskraft entspringt dem Bestreben, den
Parteien Rechtsgewißheit zu verschaffen. Was durch Urteil
entschieden ist, soll endgültig entschieden sein. Der siegreiche
Kläger soll gegen die Gefahr geschützt werden, sein erstrittenes
Recht dem Beklagten gegenüber nochmals erkämpfen zu müssen,
der siegreiche Beklagte gegen die Möglichkeit, von dem unter-
legenen Angreifer in einem neuen Prozesse wegen desselben Rechts-
verhältnisses zum zweiten Male in Anspruch genommen zu werden.
Die Rechtskraft schützt das Interesse an der Rechtssicherheit.
Und die Rechtsordnung wertet dieses Interesse wahrlich nicht ge-
ring. Sie hat auch das Fehlurteil und den unter prozessualen
Verstößen zustande gekommenen Richterspruch mit Rechtskraft
ausgestattet. Allein es fragt sich, ob das Interesse an Rechts-
gewißheit eine so überragende Bedeutung besitzt, daß nach dem
Willen der Rechtsordnung jedes andere Interesse hinter ihm
zurückstehen müsse. Nur hierauf kann es ankommen; mit dem
„Begriffe“ der Rechtskraft, mit dem die Entscheidung des Ober-
gerichts von Tsingtau vom 7. Juli 1909 operiert, ist hier nichts
anzufangen. Jene Frage muß verneint werden. Es gibt ohne
Zweifel Fälle, in denen überwiegende Interessen, denen das Recht
an anderer Stelle Schutz gewährt hat, gebieterisch erheischen,
daß ein äußerlich als Urteil auftretender Staatsakt wegen Ver-
letzung objektiver Rechtsnormen der Rechtskraft nicht teilhaftig
werde.
Es ist bedeutsam, daß auch das Reichsgericht in mehreren
interessanten Entscheidungen den Gedanken ausgesprochen hat,
es könne der Grundsatz der Rechtskraft nicht durchweg „funda-
mentale Rechtssätze“ anderer Art außer Kraft setzen. So in