Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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von Tugenden und Pflichten, wie sie z. B. in GELLERTs Mora- 
lischen Vorlesungen oder in Kants Metaphysik der Sitten 
{Zweiter Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre) 
einzeln behandelt sind. Ueber das Verhältnis von Tugenden 
und Pflichten ist zu sagen, daß die Lehre von beiden inhaltlich 
übereinstimmt, sich aber durch die Darstellungsweise unterschei- 
det, indem die Pflichtenlehre die Verhaltungsweisen in Form von 
Forderungen (Imperativen) aufstellt (vergl. PAULSEN, System der 
Ethik, Bd. II (3. Aufl), S. 3). Alle diese Tugenden und Pflich- 
ten allgemeiner Art, die für Jedermann den Wegweiser des 
sittlichen Handelns bilden, und zwar vor allem anderen, 
das sich aus seinen besonderen Verhältnissen, insbesondere seinem 
Berufe, ergibt, scheiden eben deshalb aus einer systematischen 
Darstellung einer durch das Spezifische des betreffenden Berufes 
gekennzeichneten Ethik aus. Niemals seinem Gewissen ent- 
gegenzuhandeln, was die ägyptischen Könige die Richter ihres 
Landes aufs feierlichste beschwören ließen, muß jedermann, wie 
MoNnTAIGNE (Essays III, 1) mit Recht betont, sich selbst zuge- 
schworen haben. Aus demselben Grunde gebührt der Tugend 
und Pflicht der Gerechtigkeit auch keine besondere Stelle im 
System der juristischen Ethik. Noch mehr gilt dies von allen 
durch das Gesetz festgelegten Vorschriften, wie z. B. dem Verbot 
der Körperverletzung, der Unterschlagung, aber auch den Ge- 
boten des Zivilrechts. Denn das Recht kann man nach dem 
vielzitierten Ausspruch JELLINEKsS als das ethische Minimum 
bezeichnen. Wie steht es nun aber mit den Vorschriften, die 
wir als besondere Berufspflichten, wie beim beamteten Juristen 
die Dienstpflicht, die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die 
Pflicht zu einem standesgemäßen Lebenswandel zu bezeichnen 
pflegen und die im Disziplinarrecht kodifiziert sind? An sich 
gehört auch die Erfüllung dieser Pflichten dem freien Handeln 
des einzelnen Individuums als Mitgliedes des Berufes d.h. 
dem Gebiete der Ethik an. LABAND, der das Staatsdiener- 
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIII 2/8. 21
	        
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