— 309 —
Egoismus bezeichnen kann. Die Weltklugheit deckt sich mit
der Ethik, soweit sie wahrhaft sittliche Ratschläge zu dem be-
zeichneten Zwecke gibt; sie kann aber auch in einen direkten
(segensatz zum Ethischen geraten, sobald sie, namentlich in
Fällen der Kollision mit dem gleichen Streben anderer Indivi-
duen Maximen des Eigennutzes aufstell.e. Nur im ersteren
Falle und auch dann nur mit besonderer Beziehung auf den
juristischen Beruf gehört sie in den Kreis unserer Betrachtung.
Das bedeutendste Systemm der Weltklugheit besitzen wir in dem
Hand-Orakel des spanischen Jesuitenpaters BALTHASAR GRACIAN
aus dem 16. Jahrhundert, das durch die mustergültige Ueber-
setzung SCHOPENHAUERS (vgl. auch dessen Paränesen und Ma-
ximen) in Deutschland allgemein bekannt geworden ist. (KNI6-
GEs Umgang mit Menschen behandelt einen ähnlichen Gegen-
stand, die Politik des Umganges, aber mit weit geringerem Ta-
lent.) Greifen wir die 8. und 117. der 300 Lebensregeln GRACIANS
heraus: „Leidenschaftslos sein“ und „Nie von sich reden“. Er
sagt: „Sollte aber jemals die Leidenschaft sich der Person be-
mächtigen, so darf sie doch nie sich an das Amt wagen, und um
so weniger, je höher solches ist.“ „Wenn nun dieses (das „Von
sich Reden“) schon im gewöhnlichen Umgang zu vermeiden ist,
wieviel mehr auf einem hohen Posten, wo man zur Ver-
sammlung redet, und wo der leichteste Schein von Unverstand
schon für diesen selbst gilt.“ Man denke z. B. an die unge-
wöhnlich verantwortungsvolle, auch nach der Seite des Taktes
äußerst schwierige Stellung des zur Leitung eines die Oeffentlich-
keit bewegenden Strafprozesses berufenen Richters, insbesondere
des Schwurgerichts-Vorsitzenden. Eingedenk dieser und ähn-
licher Sätze und sie in Ausübung seines Berufes befolgend, wird
er nicht nur das Bewußtsein des rechten Handelns in sich tragen,
sondern es auch vermeiden, zur Zielscheibe von Angriffen der
Oeffentlichkeit zu werden, die dem Ansehen der Justiz abträg-
lich sind und sich nicht immer als unberechtigt bezeichnen lassen.
21*