Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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Lokalisation, die in den sprachlichen Wendungen der Landes-, 
Standes-, Orts-Sitte zum Ausdruck kommt. Daraus, daß es im 
(Gegensatze zu allgemeinen Sitten partikuläre, d. h. für gewisse 
Berufsarten geltende gibt, erhellt schon die Wichtigkeit der Her- 
aushebung dieser Unterart der Sitten für unsere Betrachtung. 
Wer gegen die in seinem Stande hinsichtlich der Kleidung herr- 
schenden Sitten verstößt, handelt an sich nicht unmoralisch, 
kann aber damit das Ansehen seines Standes schädigen. Er 
kann mit diesem Verhalten eine Standespflicht verletzen, nicht 
aber eine Berufspflicht. Die Standespflicht dient nur der Wah- 
rung und Hebung der äußeren, gesellschaftlichen Stellung der 
durch das Band eines gemeinsamen Berufes verbundenen Per- 
sonen. Kraft der von IHERING als sittlich-adminikulierend be- 
zeichneten Funktion der Sitte, der Dienerin der Moral, die 
dieser die Wege ebnet, gehören auch die juristischen Standes- 
sitten in ein System der juristischen Ethik. Aus dem harmoni- 
schen Zusammenfluß von Berufs- und Standespflichten geht der 
Standesgeist hervor, das „ungeschriebene Lebensgesetz des Stan- 
des“ (v. IHERING, Der Zweck ım Recht, 4. Aufl., I, 320). 
Ist die juristische Ethik eine absolute d. h. für alle Ange- 
hörigen des juristischen Berufes allgemein gültige, von Zeit und 
Ort unabhängige? Diese Frage ist, soweit die juristische Ethik 
rein ethische Begriffe enthält, wie bei den Berufspflichten nicht 
anders zu beantworten, wie für die Ethik überhaupt. Das cha- 
rakteristische Merkmal der Sittlichkeit im Gegensatze zu den 
Sitten, die, wie wir gesehen haben, auch in die juristische Ethik 
gehören, ist ihre im allgemeinen vorhandene Absolutheit im Sinne 
der Uebereinstimmung bei den verschiedenen Kulturvölkern, um 
die es sich hier allein handelt, wobei jedoch auch hier in spe- 
ziellen Ausläufern Unterschiede je nach Nationalität, örtlichen, 
zeitlichen, wirtschaftlichen Verhältnissen u. dgl. auftreten können®. 
  
  
6 Vgl. meine Schrift „Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft‘“, Ber- 
lin 1904, S. 29 ff.
	        
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