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Dagegen ist für die Standessitten die Wandelbarkeit nach Zeit
und Ort bezeichnend, wie denn z. B. England und Frankreich
die Einklagung des Anwaltshonorars verpönen, während dies bei
uns als kein Verstoß gegen die Standessitte angesehen wird.
Haben wir bisher den zweiten Bestandteil des Begriffes der
juristischen Ethik betrachtet, so ist jetzt noch ein Wort über
die Bedeutung des „Juristischen“ zu sagen. Es handelt sich
hier um die Begrenzung des Personenkreises, für den die Vor-
schriften der juristischen Ethik Geltung haben. Nicht jeder, der
eine juristische Vorbildung genossen hat, auch nicht jeder, der
eine Rechtskenntnisse erfordernde Tätigkeit ausübt, gehört zu
diesem Personenkreise, sondern nur die Diener am Recht, d.h.
diejenigen Personen, die an der Ausübung der Rechtspflege aktiv
beteiligt sind. Das sind vor allem der Richter, der Staatsan-
walt und der Advokat. Natürlich auch Assessoren und Referen-
dare. Es dürfen aber auch die Subalternbeamten, die juristi-
sche Vorbildung genossen haben und als Gehilfen dieser Kate-
gorien innerhalb der Rechtspflege mittätig sind, nicht außer Be-
tracht bleiben. Auszuscheiden haben dagegen z. B. Unterbe-
amte, die rein mechanische Dienste leisten, denn sie sind keine
aktiven Diener am Recht.
Wir gelangen nun nach unseren bisherigen Ausführungen
zu folgender Begrifisbestimmung der juristischen Ethik: Die
juristische Ethik ist der Inbegriff der beson-
deren Pflichten eines Rechtskundigen hinsicht-
lich seines praktischen Verhaltens in seinem
Berufd.h. der Ausübung der Rechtspflege und
als Angehöriger des juristischen Standes.
Die Aufgaben der juristischen Ethik im einzelnen darzu-
stellen, ist Sache eines Systems der juristischen Ethik. In dieser
Abhandlung kann es sich nur darum handeln, die Grundlinien
eines solchen Systems zu skizzieren. Damit entfällt die Forde-