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von KrLSEN anhängig gemachten causa gravissima Stellung zu nehmen
und die schlichten Bedenken 3 eines über die angeregten Fragen wesent-
lich praktisch denkenden Juristen vorzubringen. Sollten sie auch in rechts-
philosophischer Hinsicht nicht bestehen, so wird es immerhin von Interesse
sein, wie sich die Ergebnisse rechtsphilosophischer Forschung in einem
wesentlich praktisch geschulten Geiste widerspiegeln. KELSEN erklärt
uns den Rechtssatz im weiteren Sinn d. W. als den in der Rechtsord-
nung ausgesprochenen, an bestimmte Bedingungen geknüpften Willen des
Staates zu handeln. Dieser Wille ist gleichbedeutend mit einer
Rechtspflicht des Staates zu handeln. Ist der Wille des Staates
auf Unrechtsfolge, Strafe oder Exekution, gerichtet, dann liegt ein
Rechtssatz im engeren Sinn d. W. vor. Dieser statuiert nicht nur eine
Rechtspflicht des Staates zu strafen oder zu exequieren, sondern auch
eine Rechtspflicht der übrigen Subjekte, jenes Verhalten zu unterlassen,
an das eine Unrechtsfolge geknüpft. Rechtssatz im engeren Sinne ist
der aus der Rechtsordnung konstatierbare bedingte Wille des Staates
zu strafen oder zu exequieren. Das subjektive Recht ist der Rechtssatz ın
seinem Verhältnisse zu jener Person, von deren Verfügung die Realisierung
des im Rechtssatz ausgesprochenen Willens des Staates zum handeln ab-
hängig gemacht ist *.
® Daß auch Uebereinstimmung in sehr wichtigen Punkten obwaltet,
versteht sich von selbst. Hier sei hervorgehoben: Der Gegensatz der
juristischen Realität zur nichtjuristischen. Vgl. TEzZnER, Be-
sprechung der Empirischen Untersuchungen Lıina@s im 18. Bd. der GRÜN-
Hutschen Zeitschrift S. 530 ff., dann denselben im 21. Bd. derselben Zeit-
schrift S. 153 £., 163 f., 165 f£ Die Polemik gegen JELLINEKs Auffassung
des Verhältnisses der Volksvertretung zum Volk. Vgl. TEzwner, Annalen
des deutschen Rechts 1902, S. 655 A. 1, Der Kaiser, S. 173 und KELSEN
S. 488 f. Die Auffassung der Organpflichten. Vgl. TEZNER in GRÜNHUTS
Zeitschrift 21. Bd. S. 185 f, 177 ff. und KeLsen a. a. O. S. 531 fl. — Die
Auffassung des nur formellen Gesetzes als eines juristisch belanglosen Be-
griffs, als einer „tauben Nuß“. Vgl. TezneER, Kritische Vierteljahrsschrift,
8. Folge, 1. Bd., S. 256 und KeELsen a. 3. O., S. 554. Die Auffassung, daß
jede Norm zugleich Bewegungsfreiheit und Bindung enthalte. Vgl.
TEZNER, Freies Ermessen der Verwaltungsbehörde als Grund der Unzu-
ständigkeit der Verwaltungsgerichte 1887, S. 14, 29, dann die deutchen
Theorien der Verwaltungsrechtspflege (1901) S. 215 und KrLsen a. a. OÖ,
8. 504 f.
4 Vgl. a. a. O. 8. 525, 206 ff., 271, 214, 225, 285, 463; 207; S. 625. Es
ist nicht zu tadeln, daß KELsene formvollendete Darstellung keinen Zitaten-
ballast mitschleppt. Aber Laun und Lukas, die eingehend gewürdigt
werden, in allen Ehren, so macht es doch den Eindruck, es sei die Gegen-