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Die Logik des positiven Rechts ist Technologik, also Logik des Zwecks
und Ideologik, also Logik der vorgefaßten Idee, des Vorurteils. InamA
v. STERNECK hat in einem geistvollen, an die literarische Wirksamkeit
LORENZ v. STEINs anknüpfenden Vortrag das Ueberwuchern der ersteren
Richtung der Logik in der Literatur des modernen Staatsrechts, über die
hiemit verknüpfte Ideenarmut geklagt. Wenn aber auf der anderen Seite
DERNBURG die Volksfremdheit des Rechts mit seiner Armut an Phantasie
erklärt hat, so ist den entgegenzuhalten, daß im Laufe der Zeiten die im
positiven Recht vorwaltende Phantasie viel zu gewaltig, die Berge ver-
setzende Konstruktionskunst des positiven Rechts viel zu kühn geworden
ist, als daß ihr das schlichte Denken noch nachzufolgen vermöchte #5 und
daß kaun: ein Bild weniger zutreffend ist als jenes vom trockenen Juristen,
der die stillschweigenden Willenserklärungen (!) und die Lücken im
Recht erfunden hat. Es gibt kaum ein Vorstellungs- oder Wissensgebiet,
das nicht für die juristische Terminologie verwertet würde und so wimmelt
das positive Recht von Kunstfiguren weit über die Figur der Person und
des juristischen Willens hinaus. Es sei hier erinnert an das Binden an’s
Wort, an Kraft und Wirkung, Uebertragung, Verletzung und Vernichtung,
an die Entstehung, Verwandlung, Hemmung, an das Ruhen, an den Unter-
gang und an das Wiederaufleben, an die Konkurrenz, die Kollision, die
Absorption, die Tötung (Amortisation) von Rechten, an den Lauf der Ver-
jJährung, an das hinkende Rechtsgeschäft, an die Aehnlichkeit und die
Verwandtschaft von Fällen und Gesetzen ($ 7a.b. Gb.), an die Abweisung an
der Schwelle des Gerichtes, Beweglichkeit und Unbeweglichkeit, Möglich-
keit und Unmöglichkeit, Teilbarkeit und Unteilbarkeit, an das Verhältnis
nach innen und nach außen, an die Parteienrolle des Öffentlichen An-
klägers, an den Vertreter des öffentlichen Interesses usw. Was hat man
nicht alles mit den Relationen aktiv und passiv, formell und materiell, ab-
solut und relativ zu Wege gebracht! Ist man doch bis zur Konstruktion
der relativen Nichtigkeit und der immateriellen Güterrechte gelangt! Ja,
wenn man an Savıonys Sitz der Rechtsverhältnisse, an IHE-
RINGEs Reflexrechte, an seinen Besitz als Abbild des Eigentums, an
LABANDs Verfassung wandlungen denkt, so macht es den Eindruck,
als ob der Fortschritt von Recht und Rechtswissenschaft nicht mittels der
formalen Logik, sondern mittels schöpferischer Phantasie ge-
wonnen würde. Darum verläßt KELsEN den Boden des Positivismus,
*5 Wie den Österreichischen Ständen die von der obersten Justizstelle
sogenannte „Figur des Fiskus“, die im Prozesse der ÜUeberwindung des Stände-
tums und der Zentralisation der österreichischen Länder eine gewaltige Rolle
gespielt hat, unfaßbar ist, wie sie sich gegen die newe Funde des
Kammerprokurators wider allem Herkommen auflehnen, darüber vergl.
TEzZnerR, Landesfürstliche Verwaltungsrechtspflege I. S. 197, IL, S. 121.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIII 2/3. 23