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die Form von Sollsätzen oder von verbindlichen Glaubenssätzen gekleideter,
und mittels der Formen des Rechts wirkender Ideen und Vorstellungen,
also auch die Lehre von dem in der Form des Rechts steckenden Inhalte
des Rechts, ein Auflegen, ein Auslegen des Rechtsinhalts, ein developpe-
ment de la loi, enucleatio juris, also in diesem Sinne eine explikative
Disziplin. Deshalb erfüllt nur eine solche Art der Darstellung des
positiven öffentlichen Rechts eines Staates die Forderung wissenschaftlicher
Akribie, die es sich angelegen sein läßt, den Gedankengängen des Rechts
voraussetzungslos d. i. frei von dem Banne einer bestimmten Theorie nach-
zugehen, wofür uns HATSCHERs Darstellung des englischen öffentlichen
Rechts, Otto MAYERs Entwicklung der Theorie des französischen Ver-
waltungsrechts rühmliche Beispiele bieten #. Was darüber hinausgeht, ist
Kritik und Rechtspolitik, Entwicklung des Seinsollenden an Stelle des
Seienden.
Darum ist aber auch der Vergleich der Rechtswissenschaft mit der
Formlehre der Geometrie insofern nicht zutreffend, weil die Lehre von den
Formen des Rechts nur einen Teil, nicht aber die ganze Lehre von
Recht bildet. Das kehrt sich auch gegen die These KELSEns, daß das
subjektive Recht nur der Schutz, nicht das Geschützte, nur die Schranke,
nicht das Beschränkte se15%. Demgegenüber ist der schlichten, die Syste-
matik der subjektiven Privatrechte allein ermöglichenden Vorstellung ®! des
Pandektenrechts der Vorzug zu geben — und in erster und letzter Linie
* Damit erledigt sich auch, was KELSEN gegen die Fiktion der Parla-
mente als Volksvertretung und eines Gesamtwillens vorbringt. Die Vor-
stellung vom Volke und von der Volksvertretung als Repräsentanten des
Volkswillens ist nicht minder juristischer Behelf für die Verwirklichung
der konstitutionellen Monarchie wie die Person und der juristische Wille,
die Vorstellung von der Möglichkeit der Kenntnis aller Gesetze für die
Verwirklichung und Erfassung des staatlichen Rechtslebens. So sagt schon
WERBÖCZ in seinem Tripartitum: Mag zum Volk im nichtjuristischen Sinn
auch die Plebs gehören, im juristischen sind es nur die Herren Prälaten,
Barone und andere Magnaten. TEZNER, Der österreichische Kaisertitel 1899,
8. 12. Die Vorstellung eines Parlamentwillens als Gesamtwillens ist um nichts
unjuristischer wie die Konstruktion des Willens der Majorität eines Kollegiums
als Kollegialwillens. Solche Vorstellungen sind auch durch Strafnormen
gegen ihren gewaltsamen Ersatz durch andere Vorstellungen garantiert.
Vgl. auch die Reprobierung der gewaltsamen Aenderung der Geschäfts-
ordnung des Österr. Abgeordnetenhauses durch das Reichsgerieht (Sanım-
lung Hye Nr. 878 ff.).
”» A. a. O., IS. 498. ,
sı Uneense System des österreichischen Privatrechts, 3. A. (1868) 1.,
8. 508.
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