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gänzliches Entbehren der Freiheit war nach diesen Mitteilungen
die germanische Unfreiheit niemals. In der Folge hatte sie dann
verschiedene Abstufungen, je nachdem die Besiegten behandelt
wurden: man forderte von ihnen nur Abgaben, wodurch sie zins-
pflichtig wurden, aber politische Rechte dennoch ausüben konnten,
oder man nahm ihnen Grund und Boden und ließ sie darauf
als Hörige, und wenn sie gar keine politischen Rechte ausüben
durften, als Leibeigene arbeiten. Eine genaue Umschreibung
dieser Begriffe und Klassen ist nicht möglich, der Spielarten sind
zu viele. Auch arme und zurückgekommene Freie, nachgeborene
und außereheliche Kinder unvermögender Freier ließen sich zu
Hörigen machen, oder gewaltsame Herrn setzten allmählich Rechte
durch, die ihnen nicht gebührten. Außerhalb des Kontinents
waren die Verhältnisse ähnlich: in England bestanden die Un-
freien aus den Abkömmlingen römischer Sklaven von der Zeit
der römischen Herrschaft her, aus kriegsgefangenen Briten, aus
andern unterworfenen Feinden und aus ehemaligen Freigeborenen,
die wegen Schulden oder Verbrechen in Unfreiheit gefallen waren.
Für die Zeit zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert glaubt JAKOB
({RIMM annehmen zu dürfen, daß in Deutschland die Zahl der
Unfreien etwa die Hälfte des Landvolks betragen habe. Günstiger
war das Verhältnis in England, man zählte zur Zeit der nor-
mänischen Erorberung nur etwas über 25 000 Unfreie. Die Kirche
hat dem Sklaven überall eine menschenwürdigere Behandlung
verschafft, seinen Verkauf und seine Tötung mit Kirchenstrafen
belegt, auch hat sie viele Freilassungen erwirkt, besonders im
angelsächsischen Reiche finden wir Beispiele dieser Wirksamkeit.
Daß aber immer wieder Freie durch Verschuldung zu Hörigen
wurden, nahm auch nach Einführung des Christentums seinen
Fortgang. Die Dichter des Mittelalters verkündeten zwar das
gleiche Recht der Menschen: „Wir wachsen zu gelichem Dinge“
sang WALTHER VON DER VOGELWEIDE und spottete, wer denn
noch, wenn er ihre Gebeine finde, den Herren von dem Knechte