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lichen Verkehr, in den auswärtigen Angelegenheiten; der andere ist das
einheitliche Indigenat, d. h. die Einheit des Bundesgebietes für Handel und
Verkehr, für Niederlassung und Gewerbebetrieb, für Rechtsschutz und
Tragung der finanziellen Lasten.“
Dieses Urteil LABANDs entspringt Beobachtungen, die sich mit wissen-
schaftlicher Gründlichkeit durch vier Jahrzehnte ununterbrochen fortgesetzt
haben. Es erhebt sich hoch über die Bedeutung politischer Tagesmeinungen
und verdient als die Mahnung des berufenen Mentors im wichtigsten Teil
unserer inneren Verfassungspolitik noch mehr als bisher geschehen ist, die
Beachtung unserer Reichsleitung zu finden.
Die einheitliche Wahrnehmung der gemeinsamen
Interessen sollte nach L.s Auffassung das Leitmotiv bilden. In Wirk-
lichkeit freilich sind wir davon noch weit entfernt. Der Zug zum Parti-
kularismus erweist sich an vielen Punkten mächtiger als das Verständnis
für die Gemeinsamkeit der Interessen.
In der jüngsten Verfassungsreform für Elsaß-Lothringen trat jene Tendenz
besonders deutlich hervor. Die Ausschaltung des Bundesrates aus der Ge-
setzgebung für Elsaß-Lothringen und die Stärkung der Staatselemente in
der Verfassung der Reichslande darf man als Symptome einer partikularisti-
schen Richtung bezeichnen. Das gleiche gilt von dem Widerstand, welchen
jede Bewegung für Erweiterung der Reichszuständigkeit oder gar für or-
ganische Stärkung der Reichsgewalt selbst dann findet, wenn die praktischen
Vorteile einheitlichen Vorgehens offen zu Tag liegen. Dies zeigt sich selbst
in denjenigen Gebieten, welche schon nach dem ursprünglichen Reichs-
programm in die Sphäre der gemeinsamen Angelegenheiten gehören. So
finden wir, daß in den beiden großen Angelegenheiten des Verkehrs, im
Eisenbahn- und Schiffahrtswesen die partikulären Tendenzen zum Nachteil
der naturgemäßen und zweckmäßigen Entwicklung über dem Gedanken der
einheitlichen Wahrnehmung noch inımer die Oberhand behaupten. Im
Finanzwesen des Reichs tritt dieselbe Tendenz noch fühlbarer hervor. Die
Staaten schützen sich förmlich vor dem Reich durch eine Begrenzung ihrer
Beitragspflicht und halten ihre direkten Steuern in sicherer Verwahrung;
sie schicken das Reich auf die Suche nach neuen Steuerquellen und ver-
setzen es dabei in die Notwendigkeit, den Verkehr zum Vorteil des Besitzes
zu belasten, oder direkte Steuern in der Form der indirekten anzuordnen.
Zugleich erregt die Zunahme der sozialdemokratischen Wählerschaft,
obgleich dieselbe eine naturgemäße Folge des indirekten Steuersystems des
Reiches und zum Teil wohl auch seiner Sozialgesetzgebung ist, Besorg-
nisse, die einer Reform der Reichsorganisation und des Reichstagswahl-
rechtes sich hemmend entgegenstellen.
Alles deutet darauf hin, daß LABAanns Annahme einer im allgemeinen
unitarischen Entwicklungsrichtung für die Gegenwart und die nächste Zu-
kunft nicht mehr zutreffe, daß vielmehr eine Umkehr oder doch eine Wendung