Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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W. JELLINEKS Schrift hat dem Verfasser manche Anregung gegeben; auch 
bei KOHLER, OETKER, FRIEDLÄNDER u. a. konnte er manche brauchbare 
Vorarbeit finden. Es ist aber kein Zweifel, daß K. sich das Verdienst 
erworben hat, die ganze Lehre zum erstenmal auf systematischer Grundlage 
allseitig und mit zahlreichen selbständigen Gedanken durchleuchtet und 
aufgebaut zu haben. Die reiche, aus Gesetzgebung, Praxis, Literatur und selb- 
ständiger Fallsetzung zusammengetragene Kasuistik bietet ein Material, 
welches den grundsätzlichen Darlegungen K.s starkwirkende Ueberzeugungs- 
kraft verleiht selbst gegenüber schärfster Skepsis. K. ist sich der „Gefähr- 
lichkeit“ gerade dieser Lehre voll bewußt. Diese Gefährlichkeit hat ja 
ihren Grund in der Natur der Staatsgewalt, die für ihre Akte gerade des- 
halb, weil es immer Menschen sind, die sie ausüben, ein hohes Ausnahms- 
maß von Autorität nicht entbehren kann. Diese Autorität soll aber nach 
richtiger Auffassung nicht wie in wilden Verhältnissen zur Unfehlbarkeit 
der Person entstellt, sondern tunlichst in die Sache verlegt werden, das ist 
also in den Staatsakt. Gesetzeskraft (vis legis) und Rechtskraft sind die 
Hauptformen dieser Sachautorität. Um ihre Bedeutung richtig zu würdigen, 
hat man sich nicht mit dem juristischen Urteil allein zu begnügen, man 
muß den Massenwiderstand mit in Anschlag bringen, der aus dem Gesamt- 
leben der Interessen und namentlich der juristisch nicht geschulten Köpfe 
heraus der Staatsautorität stets entgegenstrebt. Die Gefährlichkeit der 
Nichtigkeitslehre liegt nun darin, daß sie leicht dahin entgleisen könnte, 
eben diesem blinden Widerstand juristische Waffen zu liefern. Hier ist es 
dann nun, wie bei jeder ungeschriebenen Rechtsentwicklung, in letzter Linie 
das starke Rechtsgefühl, der unbeugsame Wahrheitsstolz und der sichere 
Takt, wodurch der Pfadfinder sein Ziel erreicht. All diese Bigenschaften 
des echten Juristen haben K. in der Nichtigkeitslehre geführt. Bei den 
zahlreichen Einzelentscheidungen, wie bei der Formulierung der allgemeinen 
Grundsätze vermissen wir niemals die Bestimmtheit und Vorsicht, die an- 
zuwenden ist, wenn an Staatsakte das Kriterium der Wirksamkeit oder 
Nichtigkeit anzulegen ist. In der Rechtspraxis ist es ja der Staat selbst, 
der an sich diese Selbstkritik, die strengste, die es gibt, zu üben hat. Das 
Gesamturteil, welches wir aus KORMANN gewinnen, ist, daß der Staat in 
der Uebung dieser Selbstkritik bisher wohl etwas allzusehr zurückgehalten 
hat. Die positiven Normen über Nichtigkeit sind äußerst spärlich und die 
vorhandenen neigen dahin, aus Nichtigkeiten bloße Anfechtbarkeiten zu 
ınachen. So begreiflich diese Zurückhaltung ist, so scheint sie doch eher 
ein Zeichen der Schwäche als derjenigen Kraft zu sein, die, des rechten 
Zieles sich bewußt und zum vollen Geständnis ihrer Fehler stets bereit, auch 
deren Wirkungen auf sich nimmt. Daher ist es denn eine besondre Auf- 
gabe der Wissenschaft, dem Staat auch darin voranzuhelfen. Den bisher 
bedeutendsten Schritt auf diesem Wege hat K. getan. Er beschränkt sich 
zwar auf die Nichtigkeitslehre selbst, schafft aber damit, vielleicht unbe-
	        
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