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genügt mündliches Verfahren, sofern nicht die Uebernahme einer wegen
Jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person oder
die Uebernahme einzelstehender Frauen mit Kindern in Frage steht
(Art. 12).
c. Diplomatische Vermittlung findet nur statt, „wenn entweder beson-
dere Gründe den unmittelbaren Schriftwechsel untunlich erscheinen lassen,
insbes. wenn über die Heimatsbehörde Ungewißheit besteht, oder in sprach-
licher Hinsicht der gegenseitigen Verständigung Hindernisse sich entgegen-
stellen, oder wenn durch den unmittelbaren Schriftwechsel die Anerkennung
der Uebernahmepflicht nicht erzielt worden ist und der ausweisende Teil
sich hierbei nicht beruhigen will oder wenn die Entscheidung der Stelle,
welche die auszuweisende Person übernommen hat, von der Regierung des
Heimatlandes nicht gebilligt wird“.
d. Endlich kennt der Vertrag noch eine summarische Ausweisung ohne
vorhergehendes Uebernahmeverfahren durch einfaches Abschieben (Art. 17).
Es greift gegenüber solchen Personen Platz, die mit Ausweisungsgründen
behaftet, mit der Eisenbahn oder einer Schiffslinie in das Staatsgebiet ge-
langt sind und auf der ersten Zollstation sofort nach ihrem Eintreffen an-
gehalten werden 3.
Eine Neuerung und Verbesserung enthält auch Art. 18, der den Ver-
tragsparteien die Verpflichtung auferlegt, hilflose, keiner der beiden Parteien
angehörende Personen wieder zu übernehmen, wenn sie aus einer Anstalt
des einen Staates nach dem anderen entwichen sind.
Formelle Bedenken haben, wie ich schon in den einleitenden Worten
ausgeführt habe, dazu geführt, die „Regelung der Rechtsverhältnisse der
beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiet des anderen vertragsschließenden
Teils“ zum Gegenstand eines besonderen Vertrags zu machen. Er enthält,
abgehen von dem, durch die Fassung des Niederlassungsvertrags bedingten
Ersatz der formellen durch die materielle Reziprozität, Grundsätze, die
bereits in dem Vertrag von 1890 niedergelegt waren: Rechtsschutz von
Person und Eigentum; Gleichstellung mit dem Inländer (auch hinsichtlich
der Höhe der Abgaben) bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grund-
stücke und der Ausübung von Handel und Gewerbe — wobei jedoch im
Einklang mit den Prinzipien des Völkerrechts 3° durch Verweisung auf den
deutsch-schweizerischen Handelsvertrag vom 10. Dezember 189137 Art. 9 V
bezw. 12. November 1904 ® eine Ausnahme von der Gleichstellung hin-
sichtlich des Gewerbebetriebs (einschließlich des Hausierhandels) und des
3 Ebenso Art. 12 des niederländ. Vertrags.
s Vgl. v. Liszt a. a. O. S. 186 sub II la.
87 MARTENS, Nouveau recueil general de traites, 2i&me ser XVII 257.
% MARTENS a. a. O. XXXIV 585; RENAULT et DESCAMPS a. a. O. 1904
p. 503, 642.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIII 2/8. 98