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Vergebens bemüht sich der Verf. den immer wiederkehrenden Wider-
spruch dadurch zu vertuschen daß er, so oft sich ihm die Gelegenheit
bietet, die Reflexwirkung des menschlichen Geistes auf den Fortgang des
Gesellschaftslebens hervorhebt (S. 173, 182, 186, 189 usw.). Damit ist nicht
viel anzufangen.
Wird die Tätigkeit des Geistes selbst beherrscht und bestimmt durch
die Notwendigkeit, die im Gesellsch aftsleben waltet (was der Verf. wohl
zugibt — S. 182, 189 —), so kann die gerühmte Reflexwirkung nichts neues
mit sich bringen. Etwas neues, eigenartiges, autonom wirkendes, gewinnen
wir nur, wenn wir den menschlichen Geist als eine freie, nach eigenen
Gesetzen waltende Kraft auffassen. Dann ist es aber allerdings im Ge-
sellschaftsleben mit der Naturnotwendigkeit — besser gesprochen, mit der
Notwendigkeit im technischen Sinne überhaupt vorbei!
Ob man die erste oder die zweite Anschauung bevorzugt, ist vielleicht,
im Grunde, wenig mehr als Geschmacksache; zusammenreimen lassen sie
sich aber nicht.
Am wenigsten ist es hier zuträglich, die Hypothese einer zeitlichen
Trennung heranzuziehen. Daß das zwischen den Mitgliedern einer poli-
tischen Gemeinschaft bestehende Band einst rein mechanisch, dem Be-
wußtsein derselben durchaus fremd gewesen (S. 165—6), und erst im mo-
dernen Staate zum Objekt der fruchtbringenden Erkenntnis herangereift
sei: daß Recht und Gewalt einen ähnlichen Wandel im Geistesleben der
einzelnen erfahren haben — ist recht schön gesagt, läßt sich aber tat-
sächlich nicht leicht erweisen. Dafür spricht der von Tag zu Tag ärger
wütende, blinde Kampf der gegnerischen Interessengruppen fürwahr nicht!
Wir wollen jedoch mit unseren kritischen Erwägungen die grundopti-
mistischen Anschauungen des Verfassers nicht weiter verfolgen. Er ist
wahrscheinlich jung, und in seinem Buche hat er die gesunde Zuversicht
seines jungen, lebhaften Gemüts ergossen. Eine günstige, wohltuende
Empfindung auch im Gemüte des Lesers hervorzurufen, ist ihm dadurch
jedenfalls vortrefflich gelungen, mag auch die kühle Untersuchung seiner
Behauptungen und Auseinandersetzungen eher Zweifel erregen als zur Ueber-
zeugung führen.
Darum besonders wollen wir, zum Schlusse, uns gern der hochge-
schätzten Meinung LABANDs anschließen, der in einem Begleitwort die Lek-
türe des Buches als interessant und anregend bezeichnet.
ManfrediNob. Sivtto Pintor, Prof. a. d. Universität Catania.
Heinrich Werner, Die militärstaatsrechtliche Stellung
des Großherzogs von Hessen. Verlag von J. Diener,
Mainz 1910,
Eine Arbeit, die zwar den Rahmen einer Dissertation besonders in
der Form nicht übersteigt, aber eine begrüßenswerte Bereicherung der ein-