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seits durch das nach dem Westfälischen Frieden zur Herr-
schaft gelangte Prinzip des europäischen Gleichgewichtes geför-
dert wurde. Nicht so sehr die Vermittlung des Verkehrs zwi-
schen den Regierungen als die Ausübung weitgehender Kontrolle
über alle Verhältnisse des Empfangsstaates war der Zweck der
Vertretungen. L’ambassadeur c’est un honneste espion heißt es
in einer schon 1604 erschienenen Schrift PIERRE AYRAULTs?®, Daß
ein solches ständiges Kontrollorgan von dem Kontrollierten noch
weit unabhängiger sein mußte, als es der Gesandte früherer
Zeiten von den Besendeten war, wurde bald in der Praxis an-
erkannt. Derselbe AYRAULT hat denn auch bereits geraume Zeit vor
GRoTIUS die Exterritorialitätsfiktion mit den Worten aufgestellt:
Jaceit que ’ambassadeur soit avec nous pour les affaires de son
office, toutefois en tous autres actes qui le pourraient obliger, il est
tenu et repute pour absent. Il teste: laisse des heritiers, ce que
le simple etranger ne ferait pas; il est libre; la guerre ouverte.
ıl retourne de son pays, suo jure non jure postlimini. Il ne faut
donc pas dire qu’en cas de crime on pourrait bien lui faire son
proces car il est absent ou tenu pour tel?”. (sROTIUS und Byn-
KERSHOEK haben sodann jener die negative, dieser die positive Seite
der Exterritorialität weiter entwickelt und ihre diesfälligen Aus-
führungen sind bis heute die Grundlage der Fiktionstheorie ge-
blieben. Aber diese Theorie hat — vielleicht abgesehen von der
englischen und amerikanischen Theorie — heute kaum irgend
welche Anhänger mehr. Was sich gegen dieselbe sagen läßt,
ist in neuerer Zeit namentlich von PIETRI?® mit großer Präzi-
sion dargelegt worden. Sein Gedankengang ist in der Haupt-
sache folgender: da die Personen, die sich außerhalb des Terri-
toriums befinden, wenigstens im Prinzip von der staatlichen Ge-
richtsbarkeit befreit sind, so läßt sich behaupten, daß die Lage
2° Zitiert von Hrabar, Delegatis et legationibus tractatus varii 8. 112.
®" Zitiert von Delepoulle a. a. O. 8. 34.
28 Ktude critique sur la fiction d’exterritorialite S. 70 ff.