— 481 —
Die Redefreiheit der Abgeordneten nach
russischem Recht.
Von
Dr. LEO CHALLANDES, Professor in Jurjew (Dorpat).
Art. 14 des Örganisationsgesetzes der Reichsduma lautet:
„Die Mitglieder der Reichsduma genießen völlige Freiheit der Ur-
teils- und Meinungsäußerung in den der Kompetenz der Reichsduma
unterstehenden Angelegenheiten und sind ihren Wählern gegenüber
nicht zur Rechenschaftslegung verpflichtet.‘
Dasselbe gilt auch für die gewählten Mitglieder des Reichs-
rates. Laut Art. 26 des Organisationsgesetzes des Reichsrates
unterliegen sie
„hinsichtlich der Freiheit der Urteils- und Meinungsäußerung in den
der Kompetenz des Reichsrates unterstehenden Angelegenheiten den
betreffenden Bestimmungen, welche für die Mitglieder der Reichsduma
gelten.“
Endlich bestimmt noch Art. 5 desselben Statutes:
„Der Reichsrat genießt in den ihm vorgelegten Angelegenheiten
völlige Freiheit der Meinungsäußerung.“
Auf den ersten Blick sollte man meinen, wäre das Institut
der Redefreiheit der Volksvertreter vom Gesetzgeber besonders
sorgfältig sichergestellt. Die „Vollkommenheit“ dieser Freiheit
wird speziell betont und hinsichtlich der oberen Kammer sogar
zwiefach erwähnt. Ganz natürlich entsteht da die Vermutung,
daß mit Einführung einer repräsentativen Staatsform nach west-
europäischen Mustern den Mitgliedern der gesetzgebenden Kör-
perschaften in Rußland auch dieselben Vorrechte verlieben wor-
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIII 4. 39