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Welche Rolle hierbei der Art. 14 im gesamten Rechtssystem
spielt, ist leider im Gutachten des Oberstaatsanwalts nicht gesagt.
Der Senat seinerseits wich einer Erklärung des wahren
Sinnes von Art. 14 aus und beschränkte sich ausschließlich auf
die Frage von der Strafbarkeit einer Verbreitung der Duma-
berichte’. Auf diese Weise hat die oberste russische Gerichts-
instanz bis jetzt ihre Ansicht über das Wesen des Instituts der
Redefreiheit nicht ausgesprochen.
Bald darauf wurde ein vor dem Reichsrate anhängiger, vom
Vertreter des Statthalters im Kaukasus Peterson gegen das
Mitglied der Reichsduma Purischkewit angestrengter Ver-
leumdungsprozeß auf besonderen kaiserlichen Befehl vom 29. No-
vember 1909 niedergeschlagen, wobei dem Reichsrat die Weisung
erteilt wurde, wegen der Unklarheit der betreffenden Gesetzes-
bestimmungen derartige Sachen hinfort a limine abzuweisen®. In
allerletzter Zeit, endlich, wurden vom Abgeordneten Gololobow
zwei Verleumdungsklagen beim Reichsrat anhängig gemacht, erstens
gegen den Abgeordneten Kuzmetzow, der ihn in einer Duma-
rede der Mitschuld an einem politischen Morde bezichtigt hatte,
und zweitens gegen 34 Abgeordnete der sozialdemokratischen
Fraktion, die sich diese Beschuldigung durch Unterzeichnung
einer Interpellation angeeignet hatten. Amtliche Nachrichten
über den weiteren Gang der Angelegenheit stehen bis jetzt’
noch aus.
Derweil ist auch in der Spezialliteratur dieser Frage eine be-
sondere Beachtung geschenkt worden. Am 14. März 1909 machten
Professor SHISHILENKO und Baron VON MEYENDORFF in der
St. Petersburger Juristischen Gesellschaft höchst interessante Mit-
teilungen, die den Gegenstand sehr lebhafter Debatten bildeten ®.
5 Entscheidungen des Kriminalkassationsdepartements, 1907, Nr. 26.
° „Russkijja Wedomosti“, 1909, Nr. 284.
” April 1912.
8 Den Bericht darüber siehe in den Zeitungen „Prawo“ 1900, NNr. 14, 15,
17 und 13 und „Rec“ NNr. 74 und 79. SHISHILENKO's Referat ist als Separat-