Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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Ansicht nach ist der Ausdruck „bei der Ausübung oder aus 
Anlaß der Ausübung von Pflichten begangene Delikte“ umfas- 
sender als der Terminus „Amtsdelikte“. Infolgedessen alle De- 
likte, die von Abgeordneten bei oder aus Anlaß der Ausübung 
ihrer Pflichten begangen werden, nicht aber bloß die im Ab- 
schnitt V des Strafgesetzbuches genannten, dem Artikel 22 des 
Organisationsgesetzes der Reichsduma unterliegen. Daraus folgt, 
daß auch solche Wortdelikte, welche keine amtlichen Rechts- 
verletzungen vorstellen, z. B. Verleumdung, dem obersten Krimi- 
nalgericht unterstehen *°. 
Eine derartige Interpretation führt jedoch zu absolut unan- 
nehmbaren Resultaten. Abgesehen vom Art. 1076 der Straf- 
prozeßordnung (Fortsetzung 1906), welcher ihr direkt wider- 
spricht, ist auch der Umstand in Betracht zu ziehen, daß die in 
den Art. 87—95 des ÖOrganisationsgesetzes des Reichsrates 
dargelegte Ordnung auf Sachen, die im Wege einer Privat- 
klage entstehen, überhaupt nicht anwendbar ist. Nach dem 
Art 5ll der Strafprozeßordnung werden derartige Sachen nicht 
der Aufsicht des Staatsanwaltes entzogen, wenn durch die Unter- 
suchung der Tatbestand einer verbrecherischen Handlung fest- 
gestellt ist, welche einer Verfolgung von Amts wegen unterliegt. 
Falls jedoch als Objekt der Untersuchung sich eine verbrecherische 
Handlung erweist, die im Privatwege verfolgt wird, so beschränkt 
45 Dieser Standpunkt, konsequent durchgeführt, bringt einen dahin, daß 
beinah ein jedes, während der Kammersitzungen oder aus Anlaß der De- 
batten usw. verübtes Delikt unter Art. 22 fällt. So wären z. B. hierher zu 
rechnen Fälle von Verletzungen oder Totschlag, deren sich Abgeordnete 
in der Hitze der Debatten schuldig gemacht hätten, — eine Voraussetzung, 
die nichts Unwahrscheinliches an sich hat, wenn man die Exzesse in Betracht 
zieht, welche sich einige Mitglieder der Reichsduma in derselben erlaubt 
haben (das Werfen eines Wasserglases nach seinem Gegner usw.). Ebenso 
müßte ein durch irgend einen Vorfall in der Reichsduma hervorgerufenes 
Duell der Kompetenz des Obersten Kriminalgerichts unterstehen. Die Praxis 
teilt jedoch diesen Standpunkt nicht und alle bis jetzt entstandenen Duell- 
sachen sind im gewöhnlichen Wege entschieden worden.
	        
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