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Auf dem Festlande begegnen wir noch durch das ganze Mittel-
alter hindurch Ueberresten der freien Volksgemeinschaften und
Anläufen zur Wiederherstellung der Demokratie, aber zuletzt in
der Zeit des fürstlichen Absolutismus verschwindet ihre Spur
und wird beinahe ausgelöscht.
Unserm Bedauern hierüber kann man freilich entgegenhalten,
daß die geschichtliche Entwicklung, wie sie vor sich gegangen ist,
den Völkern als Ersatz für das Verlorene ein anderes Gut ge-
schenkt habe: ihre höhere Kultur. In einer Glosse über das Mit-
telalter und die ihm folgende Zeit sagt Tocqueville: „Il semble
que la societe politique tombe en barbarie dans le möme temps
que la societe civile acheve de s’Eclairer“. Und auch das Gut
einer neuen Freiheit! Die Kriegsgefangenen werden nicht mehr
zu Sklaven, die Zinsschuldner nicht mehr zu Hörigen gemacht.
Es gibt keine bedrückten Schwesterstädte mehr, keine unter-
worfenen Landschaften. Dem Volke ist seine Selbstregierung
genommen worden, aber es erlangte die Selbstbestimmung der
Individuen. Hätte, sind wir versucht zu fragen, hätte uns die
Entwicklung diese wertvolle Frucht nicht auch gebracht, wenn
die germanische Volksfreiheit fortdauerte? Es hat keinen Reiz,
darüber su streiten. Wohl aber gewährt es Freude, zu wissen,
daß sie zurückkehrt.
Wenn zwerghafte Gebilde, wie die deutschen Reichsdörfer,
die sich nicht zu Staaten zu erheben vermochten, in einer großen
politischen und wirtschaftlichen Krise untergingen, so brauchen
wir das nicht sehr zu beklagen; immerhin ging damit auch ein
Stück Freiheit verloren. Aber mit ihnen etwa die Kantone der
alten Schweiz und die amerikanischen Kolonien in Parallele
setzen zu wollen und zu sagen, deren Selbstregierung bedeute in
der Geschichte wenig und sie könne, wegen der Kleinheit dieser
Gemeinwesen, für größere Staaten nicht vorbildlich werden, das
wäre ein Irrtum. Die Eidgenossenschaft war schon in der Blüte-
zeit ihrer Landsgemeinden ein Staat und hat Weltgeschichte ge-