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Unserer Ansicht nach ist hier die Frage entscheidend, ob
eine Angelegenheit zum Kompetenzbereich der betreffenden
Kammer — der Reichsduma oder des Reichsrates — gehört oder
nicht. Das Gesetz spricht kategorisch von Angelegenheiten, die
der Kompetenz der Reichsduma unterstehen, ignorieren läßt sich
diese Bestimmung nicht, um so mehr da nach den allgemeinen
Regeln der juristischen Hermeneutik Privilegien im einschränken-
den Sinne zu interpretieren sind. In praxi können freilich große
Schwierigkeiten und Mißverständnisse entstehen beim Entschei-
den von Fragen, ob gewisse Angelegenheiten zur Kompetenz
der Kammern gehören oder nicht. Deshalb enthalten meistens
die betreffenden Artikel der Verfassungsurkunden keine Be-
schränkungen und erstreckt sich die Immunität auf alle Reden
der Abgeordneten, unabhängig von ihrem Inhalt und dem Gegen-
stand der Debatten. In Rußland gestattet jedoch die Redaktion
des Art. 14 (und Art. 5 des Organisationsgesetzes des Reichs-
rates) eine derartige Schlußfolgerung nicht: es ist klar, daß der Ge-
setzgeber die Redefreiheit nicht auf jegliche Debatten überhaupt
ausdehnen wollte, welche in den Kammern stattfinden konnten,
sondern bloß auf solche, die einen gesetzmäßigen Charakter
tragen. Und dieses erklärt sich daraus, daß beim Ausarbeiten
des Organisationsgesetzes der Reichsduma die Redakteure sich
noch im Banne von Begriffen befanden, die sich in einer Staats-
ordnung entwickelt hatten, welche weder gesetzgebende Insti-
tutionen noch Volksvertreter kannte.
lisiert der Art. 14, wie wir gesehen haben, die Unverantwortlichkeit der
Abgeordneten nicht; deshalb müßte es doch ganz gleich sein, mit was für
Angelegenheiten die gesetzgebenden Kammern sich beschäftigen, mit sol-
chen, die ihrer Kompetenz unterstehen, oder mit anderen; in beiden Fällen
unterliegen ihre Mitglieder für verbrecherische Reden einer Verfolgung.