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Die staatsrechtliche Stellung des Sudan.
Von
Dr. Otto Freiherrn von DUNGERN a. ö. Professor in Uzernowitz,
Selten wird ein Zivilgerichtshof in die Lage kommen, durch
Urteil festzustellen, ob ein politisches Gemeinwesen als souve-
räner Staat aufzufassen ist oder nicht. Eine Entscheidung sol-
cher Art ist im Jahre 1910 von dem internationalen Gerichts-
hof in Kairo durch Zivilurteil getroffen worden. Das Urteil
hat Rechtskraft erlangt und von keiner Seite ist etwas unter-
nommen, um seine Wirkung zu hintertreiben oder zu unterbinden.
Das Urteil hat infolgedessen praktische Bedeutung für das in-
ternationale Staatsrecht gewonnen. Nicht geringer ist seine
wissenschaftliche Bedeutung anzuschlagen, weil es in seiner Be-
gründung dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen für
staatsrechtliche Verhältnisse mit außerordentlicher Kühnheit aus-
schlaggebende Geltung verschafit. Aus beiden Gründen darf
die Fassung dieses Urteils und die dadurch geschaffene Sachlage
die Beachtung der Staatsrechtswissenschaft in Anspruch nehmen.
Es handelt sich um ein Landgebiet, das man ehedem den
ägyptischen Sudan zu nennen pflegte; nämlich die vor dem
Jahre 1883 der Regierungsgewalt der Vizekönige, später Khe-
dive von Aegypten unterstehenden Territorien am oberen Nil,
südwärts von Wadi Halfa.
Dieses Gebiet ist 1899 auf Grund eines Staatsvertrages zwi-