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schon im Athen Solons, durch licentia stupri und Polizeiaufsicht in Rom.
Erst im Mittelalter taucht der Gesichtspunkt des Schutzes auch der Sitt-
lichkeit auf mit dem Verbot aller Prostitution, mit Ausweisung der
Dirnen, die dadurch zu „fahrenden Frauen“ werden, und dem Unter-
drücKungsversuche Ludwigs des Heiligen. Aber die Auffassung führt —
und das zeigt Ws Darstellung miterschreckender Klar-
heit — zu den schwersten Gefahren, weil aus ihr folgerichtig volle Ver-
werfung der Prostitution und, da solche undurchführbar ist, rechtliche und
tatsächliche Verwirrung, damit aber Schutzlosigkeit der Allgemeinheit wie
der Dirne sich ergibt.
Die Kirche hat sich mehr den Erfordernissen des Lebens angepaßt:
Sie erkennt die Prostitution an, scheidet die Prostituierte aber durch
Kleidung und Aufenthalt aus der Gesellschaft aus und überwacht sie. So
meidet sie die bedenklichen Wirkungen der staatlichen Sittenpolizei: An-
wachsen des versteckten Dirnentums mit Zuhältertum und insbesondere
Geschlechtskrankheiten.
Denn gesundheitspolizeiliche Behandlung der kranken Dirne,
statt ihrer Ausweisung, kennt erst das Ende des 18. Jahrhunderts. System
brachte dann das im wesentlichen noch jetzt geltende französische Regl.
vom 15. Juli 1816 mit dem rein sozialen Ziel der Ordnungs- und Ge-
sundheitsp olizei, mit Einschreibung, Kontrolle und Zwangsheilung.
Das preußische System, bald Duldung, bald Unterdrückung, führt 1700
zu dem vorbildlichen Bordellreglement und der Bordellordnung von 1792.
Auch sie steht im Gegensatz zur eudämonistischen Sittenpolizei, die aber
schon 1796 sich wieder regt und 1809 durch Ministerialreskript der Prosti-
tution den „verdienten Stempel der tiefsten Verworfenheit und Schand-
barkeit“ aufdrückt. Ihre alsbaldige Folge sind im Jahre 1811 305 vene-
rische Erkrankungen in der Garnison Berlin. Nach weiterem Schwanken
werden 1845 die „Schandanstalten“ geschlossen und die „Einspänner“ ver-
boten, — mit der Wirkung starker Zunahme der Winkelhurerei und der
Krankheiten, mit schwerer Gefährdung der Sittlichkeit durch häufigere
Verführungen, Verkuppelungen usw.
Im Verwaltungswege wird dann in Preußen das Pariser Reglemen-
tierungssystem eingeführt. Entsprechend schützt der preußische Ministerial-
erlaß von 1907 nur die öffentliche Gesundheit einer-, Ordnung und Sicher-
heit anderseits. Freilich steht er nicht durchweg mit dem RStGB. in Ein-
klang. Immerhin ist er der vorläufige Schlußstein einer Entwickelung, in
der die Sittenpolizei überwunden worden ist.
Mit berechtigtem Nachdruck verwahrt sich der Verfasser gegen die
französische Auffassung, daß die Prostituierten „außerhalb des gemeinen
Rechts stehen und es eine persönliche Freiheit für sie nicht gibt“. Die
Polizei hat vielmehr auch ihnen gegenüber nur die ihr vom Gesetz durch
allgemeine oder besondere Ermächtigung gegebenen Befugnisse, in Preußen