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Bundesrat Gelegenheit zu geben, zu der veränderten Sachlage Stellung zu
nehmen.
Daß eine fünfte Lesung des Verfassungsgesetzes in der Kommission
nötig war, um die Vorlage ans Plenum zu bringen, zeigt, welche hervor-
ragende staatsmännische Geschicklichkeit erforderlich war, um das Schiff
der Verfassung durch alle Fährlichkeiten hindurch — hatte doch auch der
preußische Landtag und der Landesausschuß der Reichslande sich noch mit
der Vorlage befaßt — sicher in den Hafen zu lenken.
Ueber die einzelnen Stadien dieser gesetzgeberischen Aktion unter-
richtet uns der Verfasser nach einer kurzen Darstellung der Hauptmomente
der Verfassungsentwicklung der Reichslande.
Unter den vom Bundesrat ernannten Kommissaren wird S. 9 auch „der
Verfasser dieses Buches“ angeführt. Vermutlich hat er starken Anteil an
den gesetzgeberischen Vorarbeiten genommen. Seine Arbeit verrät eine
vollständige Beherrschung des Gesetzgebungsmaterials, die ihn befähigt,
das Wesentliche scharf hervorzuheben und so in knappen Zügen in das
Verständnis der einzelnen Bestimmungen einzuführen. Die Verfassung der
Reichslande von 1911 ist in zwei Gesetzen von staatsrechtlich verschiedenem
Charakter verkörpert, in dem Verfassungsgesetz, das nur durch Reichs-
gesetz abgeändert werden kann uud durch das Gesetz über die Wahlen zur
zweiten Kammer des Landtags für Elsaß-Lothringen vom 31. Mai 1911, das
gewissermaßen als letztes Landesgesetz für die Reichslande von den gesetz-
gebenden Faktoren des Reiches erlassen ist, künftig aber als Landesgesetz
durch die gesetzgebenden Faktoren Elsaß-Lothringens abgeändert werden
kann.
Beide Gesetze werden in der Gestalt eines Kommentars erläutert.
Bei der Erläuterung der einzelnen Paragraphen wird in Anknüpfung
an die geschichtliche Entwicklung des Rechtszustandes in den Reichslanden
unter Berücksichtigung der Motive und der parlamentarischen Verhand-
lungen der Rechtsinhalt der einzelnen Bestimmungen scharf hervorgehoben.
Durch vergleichende Heranziehung der analogen Vorschriften der Ver-
fassungsgesetze anderer Staaten, insbesondere der neueren Verfassungen
Badens und Württembergs wird der durchaus moderne Charakter dieser
elsaß-lothringischen Verfassung in helle Beleuchtung gerückt.
Obwohl dieses Verfassungswerk sich als das Ergebnis heftiger parla-
mentarischer Kämpfe darstellt, wird man freudig in ihm eine hervorragende
staatsmännische Leistung der Reichsregierung anerkennen. Mit feinem
Takte sind die Rechte der verschiedenen staatlichen Organe abgestuft.
Einzelne Bestimmungen sind geradezu vorbildlich. Es würde ein großer
Gewinn für unser staatliches Leben sein, wenn im Reich und in den Einzel-
staaten die vortreffliche Reglung des Budgetrechts (Art. II $ 5) und die
Prüfung der Legitimation der Landtagsmitglieder, die dem Parlamente
entzogen und zu einer verwaltungsgerichtlichen gemacht wurde, Nach-