— 5714 —
des öffentlichen Rechts, Heft XVII). Karlsruhe i. B. (H. Braun’sche
Hofbuchhandlung) 1911. — XII und 112 Seiten.
ANSCHÜTZ hat in seiner bekannten Abhandlung „Die gegenwärtigen
Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt usw.“ 2. Aufl. 1901,
S. 167 ff. die Ansicht vertreten, daß die deutschen Verfassungen, welche die
Mitwirkung der Landstände nur für Gesetze fordern, die Freiheit und
Eigentum der Untertanen betreffen, keineswegs die parlamentarische Mit-
wirkung bei der Gesetzgebung hätten beschränken, sondern lediglich eine
Umschreibung des Gesetzesbegriffes geben wollen. So erforderten insbe-
sondere $ 2 T. VII bayer. Verfassung (wie schon SEYDEL nachzuweisen
suchte) und 8 65 bad. Verfassung grundsätzlich landständische Mitwirkung
für alle Rechtssetzung schlechthin. Die „Freiheits- und Eigentumsformel*
schränke den materiellen Gesetzesbegriff nicht ein, sondern definiere ihn.
In Untersuchungen über den Umfang des landesherrlichen Verordnungs-
rechts in Baden bin ich diesem Ergebnisse des vortrefflichen Werkes teils
widersprechend, teils zweifelnd entgegengetreten. Widersprechend, indem
ich, in Anlehnung an GIERKE, der Meinung bin, bei weitem nicht alle
Rechtssätze beträfen die individuelle Sphäre, also Freiheit der Personen
und des Eigentums im weitesten Sinne der Formel. Zweifelnd, indem ich
es zwar für möglich, ja wahrscheinlich nahm, daß die Formel im $ 65
Verf.-Urk. in diesem weitesten Sinne stehe, aber eine genauere Unter-
suchung forderte, ob sie nicht doch einen engeren Sinn habe. Aktuell ist
die ganze Frage nicht. Aber für die Dogmengeschichte des Konstitutiona-
lismus ist ihre Beantwortung und für die Geschichte der konstitutionellen
Praxis ist eine Untersuchung der Auffassung des $ 65 bei Regierung und
Volksvertretung in den ersten Jahrzehnten des Verfassungslebens von
Wichtigkeit. Darum ist es sehr zu begrüßen, daß der Verf. der vorliegen-
den Schrift seine Hauptaufgabe in einer Ergründung der Freiheits- und
Eigentumsformel und ihrer Behandlung in der badischen Praxis gesehen
und seine Untersuchung auf eine breite historische Grundlage gestellt hat.
Mit Recht setzt er ein bei der naturrechtlichen Lehre vom Staatsver-
trag, als dessen Zweck LockE den Schutz von liberty and property des
Bürgers bezeichnet. Gestützt auf die zahlreichen neueren Untersuchungen
über die Entstehung gesetzlicher Proklamierungen von Menschen- und
Bürgerrechten verfolgt Verf. die Behandlung von „life, liberty and property“
als Individualrechte bis zu ihren Definitionen in den französischen Revo-
lutionsverfassungen (S. 29f.). Er zeigt dann, wie die englischen Ideen über
Hannover schon früh nach Deutschland hinübergewirkt haben und besonders
Jusrus MÖSER in demselben Sinne wie Locke „Freiheit und Eigentum‘
als Rechte betrachtet, in die nur Gesetze, die mit Einwilligung der Bürger
erlassen sind, eingreifen sollen (8. 33). In das positive deutsche Staatsrecht
wird die Freiheits- und Eigentumsformel durch den Freiherrn von STEIN
getragen, dessen Verwendungen und Auffassungen der Formel Verf. mit