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Rechtspflege gerichteten Bestrebungen, wie sie z. B. der Verein „Recht und
Wirtschaft“ verfolgt. Es ist eine offenbar sehr weitverbreitete Anschauung,
daß historische Ausbildung gewissermaßen im Gegensatz zu praktischer Aus-
bildung stünde; eine neuerliche Denkschrift der Aeltesten der Kaufmann-
schaft von Berlin über die Reform der juristischen Vorbildung führt in dieser
Hinsicht geradezu aus: „Das Ziel der Reform der juristischen Vorbildung
müsse in der Abkehr vom Abstrakten und in der Zukehr zum Praktischen
liegen.“ Der Erreichung dieses Ziels sei es hinderlich, „daß den rechts-
geschichtlichen Unterrichtsfächern gegenwärtig ein zu breiter Raum gewährt
wird“, es müsse „Platz für das lebende Recht geschaffen werden“. Es wäre
aber eine völlige Verkennung dessen, was der historische Unterricht will,
wenn man historische und praktische Ausbildung in einen Gegensatz stellen
und daher im Interesse der letzteren eine Einschränkung der ersteren
fordern wollte. So wird das Verhältnis von den wirklich sachkundigen
Führern jener Reformbewegung auch nicht angesehen. Deren im vorigen
Jahr erlassener Aufruf betonte ausdrücklich: „Geschichtlicher Betrieb der
Rechtswissenschaft ist nicht zu entbehren“, der „Rechtsunterricht hat ein-
zuführen in das lebendige Recht der Gegenwart, in seine Zusammenhänge
mit der Vergangenheit und in die Aufgaben der Zukunft“. Nicht eine Ein-
schränkung des rechtsgeschichtlichen Unterrichts, nur eine Aenderung der
Methode wird hier angestrebt. Die Darstellung der Vergangenheit soll
nicht Selbstzweck sein, sondern Mittel zum Zweck, die Gegenwart zu ver-
stehen. Deshalb ist allerdings zu erwägen, ob die Rechtsgeschichte nicht
in allen Disziplinen näher an die Darstellung des geltenden Rechts heran-
zubringen ist: eben so wie es G. MEYER, übrigens auch LOENnIn@ gemacht
hat, bei denen der gegenwärtige Rechtszustand auf den einzelnen Verwal-
tungsgebieten als Resultat der bisherigen geschichtlichen Entwicklung er-
schien. So gelehrt ist die Kenntnis der Rechtsgeschichte eine unentbehr-
liche Voraussetzung für das Verständnis des geltenden Rechts und zwar
nicht nur für seine theoretische, sondern vielmehr gerade auch für seine
praktische Erfassung. Dies besonders auf dem Gebiet des Verwaltungs-
rechts. Mir ist wenigstens die Bedeutung der Rechtsgeschichte gerade in
der Verwaltungspraxis von Jahr zu Jahr mehr aufgegangen. Es ist aller-
dings wohl vielen, die die Verwaltung nicht aus eigener Anschauung
kennen, nicht genügend bekannt, wie häufig dort die praktische Frage
auftritt: Wie wurde es bisher gehalten? Die umfassende systematische
Kodifikation spielt auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts nicht die Rolle,
wie auf dem Gebiet des Privatrechts und in den neueren geschriebenen
Gesetzen konımt, wenn es deren auch eher zu viel gibt, doch nicht an-
nähernd die gegenwärtige Rechtslage zum Ausdruck. Zudem kommen im
Verwaltungsrecht unendlich viel örtliche Verschiedenheiten in Betracht. Des-
halb ist ein Zurückgehen auf die Vergangenheit oft allein schon notwendig,
um überhaupt erst die Rechtslage festzustellen. Wie häufig kommt es